Im Dunkel der Waelder
sollte ich auch? Das fragt man sich wirklich.
Das Geräusch von Schritten, Stimmen, man legt mich auf eine Bahre und hebt mich hoch. Mir ist ein wenig schwindelig und so kalt. Ob ich viel Blut verloren habe? Türen knallen, man spricht mit mir, gibt mir eine Spritze. Yssarts ruhige Stimme: »Machen Sie sich keine Sorgen …«
Als ich aufwache, liege ich in einem Bett. Alles ist ruhig, nur zu meiner Linken ein Summen. Blumenduft. Eine Sekunde lang kommt mir der grauenvolle Gedanke, daß ich in einem Sarg liege und in der Leichenhalle aufgebahrt bin, dann reiße ich mich zusammen. Ich bin sicher im Krankenhaus. Mein rechter Arm scheint so schwer, er ruht neben meinem Körper auf der Decke, der linke liegt angewinkelt auf meiner Brust. Hoffentlich kann ich ihn noch bewegen … Ich versuche, ihn zu heben, es geht, aber es tut saumäßig weh, alles spannt. Die Tür öffnet sich.
»Vorsichtig! Sie sind gerade genäht worden!« Die Stimme einer Frau, vermutlich um die Vierzig. Sicher eine Krankenschwester.
»Am rechten Arm haben Sie eine zehn Zentimeter lange Wunde, am linken Unterarm einige Schnitte, die Sie sich zugezogen haben müssen, als Sie zum Schlag ausholten.«
Schlag? Ich soll jemanden geschlagen haben?
»Wegen des Oberschenkels machen Sie sich keine Sorgen, die Wunde ist nicht sehr tief. Das gibt keine Narbe.«
Wie hätte ich denn schlagen können? Jemand betritt das Zimmer.
»Sie haben uns einen gehörigen Schrecken eingejagt!«
Inspektor Gassin. Er steht neben mir, ich nehme den Geruch von Leder wahr.
»Nun, was ist geschehen?«
Glaubt er, daß ich ihm etwas vorsingen werde, oder was? Er fährt fort:
»Ihre Yvette ist ohnmächtig geworden, als sie von der Sache gehört hat. Sie kam vom Einkaufen und hat gerade noch den Krankenwagen davonfahren sehen … Aber jetzt geht es ihr besser. Sie wartet draußen. Und Ihre Freunde, die Fanstens, auch. Wir gehen der Sache bereits nach. Die Jungs vom Labor haben Ihr Wohnzimmer genau untersucht, morgen bekommen wir die Ergebnisse. Hat der Typ irgend etwas gesagt?«
Nicht wirklich. Wie soll ich das erklären?
Ich hebe die Hand.
»Hat er gesagt, was er wollte?«
Handheben.
»Wollte er, ich meine … hat er versucht, Sie zu mißbrauchen?«
Kein Handheben. Ich verstehe plötzlich, daß es für ihn ein einfacher Angriff war, der nichts mit den Kindermorden zu tun hat. Vielleicht hat auch Yssart keinen Zusammenhang gesehen. Man wird die Sache als Angriff auf eine alleinstehende Frau werten und das war’s. Ich könnte ihnen sowieso nicht die Kassette vorspielen, auf der er aufgenommen hat, wie er … Allein bei dem Gedanken zieht sich mein Magen zusammen. Was? Was redet er da?
»… müssen Sie sich ausruhen … Ich komme morgen wieder.«
Und Yssart? Wo ist Yssart? Mit ihm will ich sprechen, er ist der einzige, der mich versteht!
Natürlich hört Gassin meine stumme Bitte nicht.
»Elise, mein Kleines!«
Yvette! Ich weiß, daß sie weint.
»Oh, mein Gott, ich habe solche Angst ausgestanden! Ich habe geglaubt, Sie wären tot!«
Ich auch, Yvette.
»Es ist meine Schuld, dabei war ich ganz sicher, die Tür abgesperrt zu haben, ich werde langsam alt«, stotterte sie schniefend.
Er wäre trotzdem hereingekommen. Meine arme Yvette! Ich möchte sie in die Arme schließen und trösten.
»Gott sei Dank haben Sie den Arm bewegen können. Wäre er acht Tage früher gekommen, hätte er Sie getötet. Auf dem Boden hat man ein sonderbares Messer gefunden, Sie müssen ihm mitten ins Gesicht geschlagen haben, deshalb hat er es fallen lassen …«
Ein Schlag, davon hat auch schon die Krankenschwester gesprochen. Ja, ich erinnere mich, wie mich der Zorn überwältigt hat, und an dieses Gefühl zuzuschlagen, zuzuschlagen …
»Die Polizei hofft, daß er auch verletzt ist. Sie haben Blutproben genommen und überall ihr Puder ausgestreut, wegen der Fingerabdrücke, wie in Les Cinq Dernières Minutes. Paul und Hélène sind auch da, aber die Krankenschwester will sie nicht zu Ihnen lassen. Sie sagt, Sie brauchen Ruhe, durch den Schock ist Ihr Blutdruck abgesackt, Sie waren leichenblaß. Oh, ich bin so froh, daß Ihnen nichts Ernstes passiert ist …«
Sie beugt sich spontan zu mir herab und küßt mich auf beide Wangen, zwei große, schmatzende Küsse. Weine ich? Es wäre möglich, ich spüre etwas Feuchtes auf meinen Wangen.
»Ich komme morgen wieder. Ruhen Sie sich aus«, meint Yvette, ehe sie das Zimmer verläßt.
Ich schnuppere. Die Blumen sind sicher von ihr. Oder
Weitere Kostenlose Bücher