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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Geräusch eines Körpers, der zu Boden sinkt, ein schmerzerfülltes Stöhnen. Sie hat geschossen! Sie hat trotzdem geschossen!
    Ich werde energisch zur Tür geschoben, eisiger Regen schlägt mir ins Gesicht, im Eiltempo geht es über einen holprigen Weg. Sie hat geschossen. Ist er tot? Und Benoît? Woher hatte Tony-Yssart die Schlüssel von Benoîts Wohnung?
    Eine Autotür wird geöffnet. Aua, sie schmeißt mich auf den Boden. Klapp-klapp, der Rollstuhl, sie wirft ihn neben mich, er erdrückt mich halb. Sie fährt an wie eine Irre, offenbar hat sie Tonys Wagen genommen, und Yvette, mein Gott, hat denn irgend jemand einen Krankenwagen gerufen? Mercier, der auf dem Holzboden der Forsthütte verblutet, Yvette am Straßenrand und Paul blutüberströmt im Wagen, das ist zuviel für mich, ich fühle mich, als hätte man mir Adrenalin gespritzt, mir ist ganz schwindelig.
    Und Benoît …
    Vollbremsung. Die Tür wird aufgerissen, der Rollstuhl, klapp-klapp. Sie schnappt mich und wirft mich in den Rollstuhl, unglaublich, wieviel Kraft sie hat, ich liege völlig schief in meinem Stuhl, rutsche weg, doch sie bemerkt es nicht einmal. Sie schiebt mich heftig voran und murmelt ohne Unterlaß: »Du Schwein, alles Schweine, Diebe!« Ich klammere mich mit meiner gesunden Hand fest, wir erreichen einen Gang: Der Aufzug, heftiges, ungeduldiges Hämmern gegen die Kabinenwand. Ich mache mich ganz klein. Falls Virginie etwas zugestoßen ist, gibt es ein Drama … Aber kann es noch schlimmer werden, als es jetzt schon ist?
    Das Geräusch des sich bewegenden Aufzugs. Ein Gang. Ich erkenne den Geruch des Gangs, der zu Benoîts Wohnung führt. Das hätte ich nie gedacht, daß man den Geruch eines Gangs wiedererkennt. Wie oft bin ich lachend über diesen Gang gelaufen? Ein dicker Kloß in meinem Hals, ich kann kaum mehr atmen. Stoß. Geräusche, die von einem Schlüsselbund kommen. Sie hat die Schlüssel zu Benoîts Wohnung. Aber wo, um Himmels willen, hat sie die her? Die Tür öffnet sich mit dumpfem Quietschen. Es ist kalt. Die Luft riecht muffig. »Virginie? Bist du da, mein Liebling?«
    Keine Antwort. Sie läßt mich mitten im Wohnraum stehen und läuft durch alle Zimmer. Die Wohnung ist nicht groß: Ein Schlafzimmer, ein Wohnraum, eine Küche, ein Badezimmer. Ein Schlafzimmer mit einem großen Bett. Ich habe solche Magenschmerzen, daß ich mich übergeben möchte. Es riecht muffig, aber auch nach etwas anderem. Es stinkt. Ein Geruch der Verwesung. Nach verwestem Fleisch.
    »Sie ist nicht da, er hat gelogen!«
    Was stinkt hier so? Das grauenvolle Bild von Benoîts verwestem Körper auf dem Bett taucht vor meinen Augen auf. Nein, Benoît wurde beerdigt, das hat Yvette mir gesagt. Und wenn … nein, dieser Gedanke ist zu grauenvoll, ich will das nicht denken, aber trotzdem … die Kinder … die entnommenen Organe … wenn der Mörder sie hier versteckt hätte … in dieser leerstehenden Wohnung?
    »Er hat gelogen!« brüllt Hélène und schleudert irgend etwas an die Wand.
    Zersplitterndes Glas. Ist es das Foto, das Benoît in der Badeanstalt zeigt, wie er lachend aus dem Wasser steigt?
    »Ich muß wieder zurück.«
    Nein, du mußt die Polizei anrufen! Peng! Träume ich, oder ist die Tür ins Schloß gefallen? Das Geräusch von Absätzen auf dem Gang. Ich fahre vorwärts und stoße gegen etwas Hartes. Ich hebe den Arm, taste eine glatte Fläche ab: das Büffet? Hélène, du kannst mich doch nicht einfach hier stehenlassen, verdammt noch mal!
    Totenstille. Sie ist weg. Ich bin allein in Benoîts Wohnung. Mit seinem Geist. Mit dem Geist unserer Liebe. Allein mit dem Geruch nach verwestem Fleisch. Sie wird zu der Forsthütte zurückkehren und diesem armen Irren den Garaus machen, und ich muß hier warten, im Dunkeln, im Staub, mit diesem verwesten, stinkenden Zeug. Dazu hast du kein Recht, Hélène, du hast kein Recht, das zu tun!
    Ich kenne die Wohnung in- und auswendig. Warum sollte es mir nicht gelingen, die Tür zu öffnen? Wenn ich mich seitlich drehe und die Klinke herunterdrücken kann … Zuerst muß ich mich orientieren. Ich fahre vorwärts und stoße an den Couchtisch, rückwärts fahre ich gegen das Büffet. Gut, ich muß mich also nach rechts drehen. Da, jetzt fühle ich mit der Hand das Holz der Tür. Ungeschickt strecke ich den Arm aus, fahre blind über die glatte Fläche, ah, die Klinke, ich habe sie, umklammere sie fest mit der Hand. Nichts, ich versuche es noch einmal. Nichts. Das Miststück hat abgeschlossen! Was soll ich

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