Im Dunkel der Waelder
sie bewegt sich nicht. Wenn sie sich bewegen würde, würde ich ihre Schritte auf dem Holzboden hören.
Frage: Wo ist Yvette?
Ich fahre vorwärts: Wand. Ich fahre rückwärts: Wand. Rechts eine Wand, links eine Wand. Ich fahre seitwärts: Wieder Wände.
Yvette? Ich habe sie nicht berührt, habe nicht gehört, daß sie sich bewegt hätte. Ich höre mein Herz, das zum Zerspringen klopft. Beweg dich, Yvette, bitte beweg dich.
»Paul hat angerufen.«
Ein eisiger Schauer rieselt mir über den Rücken. Sie ist verrückt, soviel ist sicher. Aber wo ist sie? Die Stimme kommt von rechts. Ich nähere mich der Stimme.
»Paul hat quiiiiiiick.«
Stille. Was soll dies Gekreische? Ich kenne Yvette jetzt seit dreißig Jahren, aber sie hat noch nie quiiiick gemacht. Herr des Himmels … das Schweigen, die kurzen Sätze, langsam begreife ich …
Es ist nicht Yvette, es ist ein Tonband.
Das bedeutet, daß ich bei ihm bin, bei der Bestie.
Er hat mich gekidnappt.
Er hat einen Unfall provoziert und mich gekidnappt. Und das heißt, daß Paul, Hélène und Yvette tot sind, sonst hätten sie schon die Polizei angerufen.
Ich fange an zu spinnen. Nein, ich spinne nicht … doch, ich spinne, wo sind sie denn alle, und warum wiederholt Yvette immer dieselben Worte wie eine verkratzte Schallplatte?
Mein Onkel wird sich Sorgen machen, wenn wir nicht kommen. Er wird überall herumtelefonieren, und man wird anfangen, uns zu suchen. Dann wird Hilfe kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wie in Blaubart.
Warum das Tonband? Warum will er mir vormachen, Yvette sei da? Damit ich ruhig bleibe? Und das Glas Wasser? Danach bin ich eingeschlafen, er hat irgend etwas in das Wasser getan, soviel ist sicher, aber warum? Warum hat er mich nicht gleich getötet? Wenn ich es mir recht überlege, habe ich gar keine Lust, die Antwort auf diese Fragen zu erfahren.
»Elise?«
Hélène! Ich habe mich so erschreckt, daß ich mit dem Arm gegen die Wand geschlagen habe, das tut gemein weh. Hélène!
Die richtige?
»Elise! Sie sind da! Oh, mein Gott, wenn Sie wüßten!«
Es ist die richtige, sie stürzt auf mich zu und umarmt mich.
»Paul … er …«
Sie weint so heftig, daß man es für ein Lachen halten könnte. Ich glaube, ich brauche keine weiteren Einzelheiten.
»Er ist tot.«
Ich versuche, die Hand zu heben.
»Er hat sich das Genick gebrochen«, fährt sie atemlos fort.
Und Yvette! Meine Yvette? Mein Herz rast wie wild.
»Yvette liegt im Koma! Als ich wieder zu mir kam, war alles voller Blut, und Tony zog Sie auf die Straße, er zerrte Sie mit sich, er hatte auch den Rollstuhl genommen, und er brachte Sie weg, ich wußte nicht, was ich tun sollte …«
Sie unterbricht sich, um wieder zu Atem zu kommen, sie soll weiterreden. Yvette im Koma …
»Ich habe gleich gemerkt, daß Paul tot ist … Ich habe ein Auto angehalten und die Insassen gebeten, Hilfe zu holen. Dann bin ich Ihnen nachgelaufen und habe Sie hier, in der Forsthütte, gefunden.«
In der Forsthütte? Aber die liegt doch nicht auf dem Weg zur Schule. Na, auch egal! Die Forsthütte, wo der kleine Michael getötet wurde?
»Eben hat er die Hütte verlassen, ist in einen weißen Renault 18 gestiegen und weggefahren. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um hereinzukommen. Wir müssen sofort von hier verschwinden!«
Tony Mercier war hier? Er hat mich entführt? Plötzlich überkommt mich ein Unwohlsein, ich werde doch wohl jetzt nicht ohnmächtig werden! Ich möchte Hélène sagen, daß es ein großes Risiko war hierherzukommen, möchte ihr danken, aber ich kann nicht. Ich kann nur die Faust ballen. Ich verstehe nicht, wie sie sich von Paul hat losreißen und an mich denken können. Paul tot … Und Yvette …
Draußen höre ich ein Motorengeräusch.
Hélène. Wo ist Hélène? Sie ist sicher nachsehen gegangen …
Der Motor wird abgestellt.
Schritte.
Jemand betritt das Zimmer.
Kommt leise auf mich zu.
Mein Mund ist so trocken, daß mir die Zunge am Gaumen klebt.
Eine Hand legt sich auf meinen Arm:
»Keine Angst, ich bin da!«
Meine Nackenhaare sträuben sich, denn diese Stimme kenne ich: Es ist die von Yssart, dem falschen Yssart; es ist die Stimme von Tony Mercier, die Stimme des Mörders.
»Keine Bewegung!«
Hélènes Stimme, kräftig und doch leicht zitternd.
»Laß sie, Tony. Zurück!«
»Hélène …«
»Zurück, habe ich gesagt!«
Er gehorcht, das höre ich am Knarren des Holzbodens. Hélène muß bewaffnet sein.
»Warum hast du das getan, Tony? Warum bist du
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