Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Wasser strömte vom Dach, und die vom Wind gehärteten Äste der Eichen funkelten vor Nässe. Dann schlang mir Bootsie die Arme um den Brustkorb und zog mich tiefer in sich hinein, in Korallenhöhlen weit unter dem Meer, wo es weder Nachdenken noch Angst gab, nur eine Strömung, die einen erfaßte, ein fortwährendes Auf und Nieder, so warm und wogend wie ihre Brust.
Ich hatte eine Alarmanlage in mein Haus eingebaut, die ich mir nicht leisten konnte, und meiner dreizehnjährigen Tochter beigebracht, wie man mit einer Waffe umging, mit der man einen Eindringling zu Hackfleisch verarbeiten konnte.
Außerdem hatte ich meine Frau zu später Nachtstunde mit meiner Schlaflosigkeit und meinen Sorgen behelligt.
Wer wurde hier zum Gefangenen seiner Angst? Oder besser gesagt: Wer ließ zu, daß er zum Zuschauer wurde, während andere die Handlung vorgaben?
Am Samstag morgen fuhr Clete in aller Frühe mit seiner Angelrute und einem Karton roter Pilken in einem meiner Außenborderboote den Bayou hinunter und kam mit einer Schnur voller Brassen und Sonnenbarsche zurück, die er aus der Kühlbox nahm und wie eine schwere, gold-grün glitzernde Kette hochhob. Er kniete sich auf die Planken im Schatten des Köderladens, nahm sie über einer Schale mit blutigem Wasser aus und trennte die Köpfe mit einem sauberen halbmondförmigen Schnitt hinter den Kiemen ab.
»Du hättest mitkommen sollen«, sagte er.
»Das ist ja so, als ob man den Briefträger an seinem freien Tag zu einem langen Spaziergang einlädt«, sagte ich.
Er steckte sich eine Zigarette in den Mund und lächelte. Das Fischblut an seinen Fingern hinterließ kleine rote Abdrücke auf dem Zigarettenpapier.
»Du siehst klasse aus, Großer. Wie wär’s, wenn ich euch alle zum Mittagessen ins Possum’s einlade?« sagte er.
»Heut nicht ... Ich fahr in ein paar Minuten nach New Orleans. Ich hab Bootsie gesagt, daß du dich vielleicht eine Zeitlang hier aufhältst.«
Er stand auf und wusch sich unter einem Wasserhahn am Geländer die Hände.
»Was hast du vor, Streak?«
»Ich hab es satt, die Zielscheibe abzugeben.«
»Wer gibt dir Rückendeckung, Mann?« sagte er, während er sich die Hände an einem Lappen abtrocknete.
»Danke, daß du aufs Haus aufpaßt«, sagte ich und ging vom Bootsanleger hoch zu meinem Pickup. Als ich in den Rückspiegel schaute, lehnte er unten am Geländer, das Gesicht im Schatten seines Hutes verborgen, eine Hand in die Hüfte gestützt. Ein heißer Wind, der nach angeschwemmten Alligatorhechten und in der Sonne trocknendem Humus roch, wehte über den Sumpf. Ich ließ gerade den Pickup an, als die Schatten großer Vögel über den Bayou strichen. Ich schaute zum Himmel auf und sah zwei Fischadler, die hoch über dem Wasser gekreist waren und jetzt im Sturzflug auf die Zypressen zuhielten, mit einem kurzen Flügelschlag gegensteuerten und auf ihre Beute hinabstießen.
New Orleans kann man auf vielerlei Arten erleben. Zur richtigen Tageszeit ist das French Quarter wunderschön. Eine Straßenbahnfahrt entlang der St. Charles Avenue, durch den Garden District, vorbei am Audubon Park und an der Tulane University, ist immer zauberhaft. Aber man kann es auch auf andere Art versuchen, wozu ich nicht unbedingt raten würde.
Diejenigen, die sich am unteren Ende der Nahrungskette durchschlagen – die Nutten, Zuhälter, Kreditkartenbetrüger, Bauernfänger, Taschendiebe und Straßenstrolche –, treiben sich normalerweise vor den Bars und Stripschuppen herum und richten relativ wenig Schaden an. Sie haben sich eher dem klassischen Neppen und Schleppen, der Hochstapelei und dem Handtaschenraub verschrieben als der körperlichen Gewalt.
Einen Rang drüber stehen die Straßendealer. Nicht alle, aber die meisten sind schwarz, jung, blöde und selbst abhängig. Das Crack, das sie in den Sozialsiedlungen verticken, führt so gut wie sicher zu einer Drogenpsychose. Alles andere, was sie verhökern, ist so oft verschnitten worden, daß man sich ebensogut Babyabführmittel reinziehen oder einen Schuß mit Milchpulver setzen kann.
Zu wiederum einer anderen Klasse gehören die Menschen, die einfach mit schmutzigen Geldgeschäften befaßt sind. Sie sind für gewöhnlich weiß, etwas älter, wurden bereits ein paarmal festgenommen und besitzen irgendein legales Unternehmen. Sie handeln mit Diebesgut, betreiben Werkstätten, in denen gestohlene Fahrzeuge ausgeschlachtet werden, und waschen geraubtes oder gefälschtes Geld, das sich je nach Herkunft und
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