Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
unterhalten, ohne dabei unhöflich zu wirken. Ich kam mir auf einmal alt und albern vor.
Ich wollte nach Hause fahren, den Tag abhaken, die Gesichter vergessen, in die ich geschaut hatte, die krächzenden Stimmen aus meinem Ohr tilgen, die wie die verlorenen Seelen an der Lower Thames Street klangen, die William Blake einst beschrieben hat.
Aber ich wußte, was ich tun mußte. Ich war kein Polizist mehr. Meine Familie war in Gefahr, solange Johnny Carp glaubte, daß ich ihm bei einer seiner Unternehmungen in die Quere kommen könnte. Ich hatte Moleen gesagt, daß Stolz nichts bringe. Ich fragte mich, ob ich mich meinerseits daran hielt.
Ich ging zurück zur Esplanade Avenue, stieg in meinen Pickup und nahm die nächstbeste Auffahrt auf den 1-10, der in den Bezirk Jefferson führte. Einen Moment lang meinte ich im Rückspiegel ein grünes Cadillac-Kabrio zu sehen, dann verschwand es in den Regenschleiern.
Es gab vielerlei Gründe dafür, daß die Familie Giacano New Orleans so fest im Griff hatte. Einer davon war, daß sie sich nach außen hin wie ganz normale Leute gaben und Häuser der gehobenen Mittelklasse bewohnten, ohne mit ihrem Geld zu protzen. Wenn Johnny von der Arbeit nach Hause fuhr, ließ er die Limousine in der Garage im Zentrum stehen und nahm seinen Lincoln. Johnny wußte genau, daß es etwas gab, das stärker war als jede Angst, die er seinen Widersachern einjagen konnte – der Neid.
Als die Weißen aus New Orleans abwanderten und in den Bezirk Jefferson und nach Metairie zogen, wo ein David Duke seine politische Basis hatte, schloß Johnny sich ihnen an. Er trat jedem Club bei, in den er sich einkaufen konnte, schob am Samstagvormittag seine Karre durch den Supermarkt, spielte im Park um die Ecke Softball, und am Samstag abend gab er in einem italienischen Restaurant am See, in dem hauptsächlich Arbeiterfamilien verkehrten, große Diners, bei denen sich die Tische mit den karierten Decken unter den Schalen voller Pasta, Würste, Fleischklößchen und Lasagne förmlich bogen.
Es war ein seltsamer Abend. Der Regen peitschte jetzt heftiger, die Dünung auf dem See war dunkelgrün und von den Tropfen gekräuselt; wie ein schillerndes Band zog sich der dunstverhangene Straßendamm im Schein der elektrischen Beleuchtung quer über das Wasser bis nach Covington. Aber am Horizont war die Sonne durch die Wolken gebrochen und tauchte den Himmel im Westen in ein glühendes Rot, wie Flammen inmitten von Ölqualm.
Es war ein freundliches, gutbesuchtes Lokal mit breiten Veranden, privaten Bankettsälen, einer langen Bar mit einem Messinghandlauf, Topfpalmen und dunkelbraunen Plüschsofas bei der Kasse. Ich zog auf der Herrentoilette mein Leinensakko aus, trocknete mir mit Papierhandtüchern Kopf und Gesicht ab, richtete meine Krawatte, versuchte den Puderzucker vom Café du Monde von meinem mattschwarzen Hemd abzubürsten, kämmte mir dann die Haare und schaute in den Spiegel. Ich wollte nicht hinausgehen, ich wollte die Worte nicht aussprechen, die ich sagen mußte. Ich mußte von meinem Spiegelbild wegschauen.
Johnny bewirtete seine Gäste in einem mit lackiertem Pinienholz getäfelten Zimmer, durch dessen Fenster man den See und die erleuchteten Segelboote sehen konnte, die in der Dünung schaukelten. Er stand an der Bar, war offenbar bester Dinge, trug eine maßgeschneiderte, nach unten hin eng zulaufende graue Hose, Slipper mit Bommeln, pflaumenfarbene Socken und ein hellgelbes Oberhemd mit blutroten, kirschgroßen Manschettenknöpfen. Sein welliges Haar glänzte wie flüssiges Plastik, die Zähne waren rosa vom Wein. Der Gorilla an der Tür war ebenfalls leutselig, und als ich sagte: »Ich habe weder eine Waffe noch eine Dienstmarke, Max«, lächelte er und antwortete: »Das weiß ich schon, Mister Robicheaux. Johnny hat Sie draußen gesehn. Er will, daß Sie reinkommen und sich amüsieren.«
Ich bestellte mir ein Dr. Pepper und trank es etwa anderthalb Meter von Johnny entfernt, der sich mit einem halben Dutzend Leuten unterhielt. Er grinste und strahlte, ließ mit keiner Miene erkennen, daß er mich bemerkt hatte, wippte auf den Fußballen, während er einen Witz erzählte, schürzte dann die Lippen, als er zum Ende der Geschichte kam, und fächelte mit einer Handvoll gefalteter Dollarnoten herum, die er zwischen den mit Ringen behangenen Fingern stecken hatte.
Wieder hörte ich ein eigenartiges Kreischen in meinem Kopf, wie wenn eine Straßenbahn über die Eisenschienen scheppert. Ich schaute
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