Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
waren kaum mehr als flache Mulden zwischen wehendem Laub, die vereinzelten, mit ungelenken Buchstaben und Ziffern beschrifteten Holzkreuze und aus Brettern gezimmerten Gedenktafeln umgestürzt und unter den Rädern der Traktoren und Zuckerrohrfuhrwerke geborsten. Mit Ausnahme einer offenen Grube, an deren Boden, halb unter der nachrieselnden Erde begraben, die zerbrochene steinerne Deckplatte lag.
Doch selbst im tiefen Schatten konnte ich den Namen Chaisson erkennen, der in den Stein gemeißelt war.
»Kann ich Ihnen bei irgendwas helfen?« sagte ein Schwarzer hinter mir. Er war groß, hatte ein schmales Gesicht, Augen wie Blaufischschuppen, kurzrasierte Haare, und seine Haut schimmerte in einem matten Goldton, wie altes Sattelleder. Er trug ein rosa Golfhemd mit Grasflecken, ausgeblichene Jeans und Turnschuhe ohne Socken.
»Ham Sie Mister Moleen gefragt, ob Sie sein Anwesen betreten dürfen?« sagte er.
»Ich bin Detective Robicheaux vom Büro des Sheriffs«, sagte ich und klappte das Etui mit meiner Dienstmarke in der offenen Hand auf. Er nickte, ohne etwas zu erwidern, sichtlich darum bemüht, sich keinerlei Gefühlsregung anmerken zu lassen. »Sind Sie nicht Berties Neffe?«
»Ja, klar, das stimmt.«
»Sie heißen Luke, Sie führen den Tanzschuppen südlich vom Highway.«
»Zeitweise. Er gehört mir aber nicht. Sie wissen ja allerhand.« Sein Blick wurde verhangen, als er lächelte. Hinter ihm sah ich eine junge Schwarze, die uns von der Veranda aus beobachtete. Sie trug weiße Shorts und eine geblümte Bluse, und ihre Haut hatte den gleichen goldenen Schimmer wie seine. Sie ging am Stock, aber an ihren Beinen konnte ich keinerlei Gebrechen erkennen.
»Was glauben Sie, wie viele Leute in diesem Hain begraben sind?« fragte ich.
»Hier in der Gegend wird schon lang keiner mehr begraben. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es jemals der Fall war.«
»Stammt das Loch da etwa von einem Gürteltier?«
»Miss Chaisson und ihr Mann warn da begraben. Aber das is der einzige Gedenkstein, den ich hier je gesehn hab.«
»Vielleicht handelt es sich bei diesen Mulden um lauter Indianergräber. Was meinen Sie?«
»Ich bin in der Stadt aufgewachsen, Sir. Mit so was kenn ich mich nicht aus.«
»Sie brauchen mich nicht mit Sir anzureden.«
Er nickte wieder, hatte die Augen ins Leere gerichtet.
»Gehört Ihnen das Haus, Partner?« fragte ich.
»Tante Bertie sagt, es gehört ihr seit dem Tod ihrer Mutter. Sie läßt mich und meine Schwester hier wohnen.«
»Sie sagt, es gehört ihr, was?«
»Mister Moleen sagt was andres.«
»Wem glauben Sie?« sagte ich und lächelte.
»Das, was die Leute beim Gericht sagen. Wollen Sie noch irgendwas, Sir? Ich muß mich wieder an die Arbeit machen.«
»Danke für Ihre Mühe.«
Das einfallende Licht warf helle Tupfen auf seine Haut, als er sich entfernte, das Gesicht dem Wind zugewandt, der über das Zuckerrohrfeld wehte. War ich schon zu lange Polizist? fragte ich mich. War es schon so weit gekommen, daß ich jemanden einfach deshalb nicht mochte, weil er eingesessen hatte?
Nein, es lag an der Verschlossenheit, der Feindseligkeit, die nicht zu greifen war, dem Rückzug auf die eigene Rassenzugehörigkeit, die man einsetzte wie die Schneide einer Axt.
Aber was durften wir anderes erwarten? dachte ich. Wir waren gute Lehrer gewesen.
Ich war fünf Minuten in meinem Büro, als Helen Soileau mit einem Aktenordner in der Hand durch die Tür kam, sich auf die Kante meines Schreibtischs hockte und mich mit ihren weit auseinanderstehenden, reglosen blassen Augen anschaute.
»Was ist los?« fragte ich.
»Rat mal, wer Sweet Pea Chaisson auf Kaution rausgeholt hat?«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Jason Darbonne, drüben aus Lafayette. Seit wann vertritt der denn Zuhälter?«
»Darbonne würde seine eigene Mutter vor einen Hundeschlitten spannen, wenn der Preis stimmt.«
»Hör dir das an. Der Mann vom Gesundheitsamt wollte Sweet Pea den Sarg nicht nach Breaux Bridge transportieren lassen, also hat er sich jemand besorgt, der ihn für zehn Piepen in ’nem Müllaster hingeschafft hat.«
»Was ist in dem Aktenordner?«
»Wolltest du diesen Pisser noch mal vernehmen? Zu schade. Die FBIler haben ihn heut morgen abgeholt ... He, hab ich mir doch gedacht, daß dir das in den Eiern ziept.«
»Helen, du solltest mal ein bißchen drüber nachdenken, wie du manchmal mit Menschen sprichst.«
»Um mich geht’s hier nicht. Es geht um den nichtsnutzigen schwarzen Blindfisch im Knast, der
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