Im Dunkeln der Tod
Besprechung dieses Tages war für neun Uhr anberaumt, statt für acht, da Knutas sich bereit erklärt hatte, bei einer frühen Fernsehsendung mitzuwirken. Jetzt fragte er sich, was ihn dazu gebracht hatte. Fernsehaufzeichnungen machten ihn nervös, und er fand hinterher immer, dass er sich unbeholfen und verworren ausgedrückt hatte. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden, wenn er im unbarmherzigen Scheinwerferlicht dastand und perfekt formulierte, ausgewogene, überlegte Antworten von sich geben sollte, mit denen Polizeiführung und Fernsehjournalisten gleichermaßen zufrieden wären, an sich ja schon ein Ding der Unmöglichkeit. Er durfte nicht zu viel verraten, musste aber genug erzählen, um die Öffentlichkeit zu brauchbaren Hinweisen anzuregen.
Tatsache war, dass die Polizei Hilfe brauchte. Bisher gab es nur wenige konkrete Spuren. Bisher hatte sich kein einziger Zeuge gemeldet, der ihnen wirklich weiterhelfen konnte. Nichts aus Egon Wallins Leben hatte eine Spur zu einem möglichen Täter aufgezeigt. Das Motiv fehlte. An einen Raubüberfall glaubte niemand, obwohl weder Brieftasche noch Telefon gefunden worden waren.
Egon Wallin hatte sich viele Jahre lang um seine Galerie gekümmert, hatte hart und zielstrebig gearbeitet. Er verstand sich gut mit seinen Angestellten und war niemals mit der Justiz aneinandergeraten – und nach allem, was sie wussten, auch mit sonst niemandem.
Das Interview fiel besser aus als erwartet. Er saß in einem winzigen Aufnahmestudio und war in der Morgensendung live zu sehen. Der Moderator ging einigermaßen behutsam vor und stellte keine zu aufdringlichen Fragen. Nach den drei Minuten war Knutas in Schweiß gebadet, aber trotzdem einigermaßen zufrieden. Der Anruf des Bezirkspolizeichefs nur einige Minuten nach der Sendung bestätigte, dass er sich geschickt durch das Interview hindurchmanövriert hatte.
Als er wieder zur Wache kam, rief er die Gerichtspsychologin an, die er schon im Vorjahr um Hilfe gebeten hatte. Er hoffte, sie werde das Verhalten des Täters deuten und ihnen weiterhelfen können. Aber sie fand es noch zu früh in der Ermittlung und bat ihn, sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu melden. Und sie hatte sicher recht. Einiges konnte er ihr jedoch trotzdem entlocken. Sie wollte nicht ausschließen, dass es sich um ein Erstlingsverbrechen handeln könnte. Sie glaubte jedoch nicht, dass sie es mit einem Zufallsmord zu tun hatten, sondern dass das Verbrechen geplant worden war, vielleicht über einen langen Zeitraum hinweg. Der Mörder hatte vermutlich gewusst, dass Egon Wallin das Haus verlassen würde, und zwar allein.
Sie mussten seine gesamte Umgebung ein weiteres Mal befragen. Irgendwer konnte doch etwas bemerkt, vielleicht in Wallins Nähe eine unbekannte Person beobachtet haben. Und dann die Tatsache, dass er seinen Mörder gekannt haben musste – das engte das Suchfeld jedenfalls ein. Egon Wallin hatte zwar einen ungewöhnlich großen Bekanntenkreis gehabt, aber es machte die Arbeit doch sehr viel leichter, dass der Täter offenbar in seiner Nähe zu finden war.
Der Bahnsteig füllte sich mit geduldig wartenden Reisenden, die über die Jahre durch verspätete Pendlerzüge, vereiste Weichen, verschneite Gleise, von der Kälte beschlagene Wagen und Türen, die sich nicht öffnen ließen, gestählt worden waren. Immer war etwas nicht in Ordnung. So lange er sich schon erinnern konnte, hatten die Stockholmer mit dem Chaos der Pendlerzüge leben müssen.
Er musterte die Menschen um sich herum voller Widerwillen. Da standen sie wie hilflose Trottel und froren in ihren Wollmänteln, Windjacken und Umhängen. Jeans und Handschuhe und Stiefel, Rotznasen und in der Kälte triefende Augen. Es war siebzehn Grad unter Null. Trostlos starrten sie die Informationstafeln an, die ausgefallene Züge und Verspätungen mitteilten. Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen, um die Wärme zu halten. Verdammte Kälte, er hasste sie ja so sehr. Und wie er diese armen Teufel hasste, die er hier sah. Was lebten die für erbärmliche Leben!
Morgens in der Dunkelheit in aller Frühe aufstehen, viele standen im eisigen Wind an Bushaltestellen und saßen dann in schaukelnden Bussen im Gestank von nasser Wolle, Abgasen und Nässe auf dem Weg zum Pendlerzug. Dort wartete die nächste Unterbrechung, bis der Zug auftauchte. Wenn der dann endlich einlief, mussten die Reisenden dicht gedrängt von Station zu Station aushalten, bis der Zug eine halbe Stunde
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