Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
einzige, deren Name in seiner Todesanzeige stand. Nach dem Brand bei Pfau wurde sie bei der Kommune angestellt und arbeitet immer noch da. Sie war es, die ihn endgültig identifizierte, damals 1971.«
»Gibt es ein Bild von ihm?«
»Von Harald Wulff?«
Ich nickte, und er kramte seine Brieftasche aus der Innentasche hervor. Es war eine abgenutzte, alte Brieftasche, wie sie Leute das ganze Leben mit sich herumtragen, als bewahrten sie ihre Seele darin auf. Er durchsuchte die vielen Fächer und zog zum Schluß einen vergilbten Zeitungsausschnitt heraus. Den reichte er mir, vorsichtig, als hätte er Angst, er könne sich in Luft auflösen.
Ich sah mir den Ausschnitt an. Es war ein nicht allzu deutliches Foto von den Prozessen nach dem Krieg. Fünf Männer waren auf dem Weg in einen Gerichtssaal, und der Bildtext erzählte, daß die drei in der Mitte Angeklagte, die beiden anderen Polizisten in Zivil waren. Der hintere der drei Angeklagten war Harald Wulff. Sein Gesicht wurde teilweise von dem Mann vor ihm verdeckt und man sah nicht alle Züge. Aber es war lang und schmal, fast pferdeartig. Die Nase und die Partie über den Augen waren markant, ein wenig vorstehend. Die Ohren groß. Das dunkle Haar war auf der linken Seite gescheitelt und nach hinten gekämmt und eine lange, dunkle Strähne fiel ihm auf der rechten Seite ins Gesicht. Ich kannte keinen der vier anderen auf dem Bild. Ich studierte Harald Wulff genau, bevor ich den Ausschnitt zurückgab. »Tja …«
Ich machte eine ratlose Handbewegung.
»Genau, Veum. Tja …« Er äffte meine Bewegung nach. »So enden alle Geschichten, die etwas bedeuten. Mit einem, tja’ …« Wieder die karikierte Bewegung. »So etwas wie ein happy end gibt’s einfach nicht.
Vielleicht gibt es nicht einmal Gerechtigkeit, vielleicht gibt es nur alte Starrköpfe wie mich, die es nicht lassen können, daran zu denken, daß sie Recht hatten, damals, – wir hätten Recht bekommen sollen.«
Er starrte wütend auf sein Bierglas. Es war leer. Wie um sich zu versichern, daß kein Tropfen mehr übrig war, hob er das Glas an den Mund und hielt es verkehrt herum. Ein paar Schaumflokken kamen angeflossen, das war alles. Dann setzte er das Glas hart ab und stand auf. »So, Veum. Jetzt weißt du alles. Alles, was ich weiß, oder jedenfalls die Grundzüge. – Jetzt gehe ich nach Hause. Ich bin noch nicht in Form. Bis dann!«
Ich wollte aufstehen, aber er nickte zu meinem halbvollen Glas hin.
»Bleib ruhig sitzen. Mach’s gut so lange.« Er schenkte mir ein grimmiges Lächeln, zog seinen Mantel an und ging mit der zusammengerollten Zeitung in der Hand hinaus. Die Tür schwang hinter ihm zu.
Ein paar Sekunden später hörte ich es, durch die halboffenen Fenster hinter den graugelben Gardinen zur Seitenstraße hin. Das Geräusch eines aufheulenden Motors, Quietschen von Bremsen, Reifen, die über seifenglattes Kopfsteinpflaster schlitterten, etwas Hanes, Metallenes, das gegen irgendetwas schlug – und dann: den grauenvollen dumpfen Laut eines Körpers, der auf den Boden schlägt, nachdem er durch die Luft geschleudert wurde. Der Automotor heulte wieder auf, und ich hörte den Wagen um die nächste Ecke schleudern.
Ich warf den Tisch um, so schnell stand ich auf. Alle im Lokal sahen zum Fenster, mit Gesichtsausdrücken, die je nach dem Maß der Betrunkenheit verschiedene Grade von Verblüffung zeigten. Ich stürmte am Türsteher vorbei hinaus. Am Ende des Strandkais sah ich einen großen, dunkelblauen Lieferwagen bei Murhjørne um die Ecke biegen und verschwinden. Ich lief weiter, um die Ecke.
Das kleine Straßenstück lag verlassen. Ganz oben an der Kreuzung in Richtung Strandgate tauchten zwei Menschen auf, mit verschrecktem Ausdruck im Gesicht. Der Zeitungsstand gleich um die Ecke lag umgeworfen auf dem Gehsteig, aber das war unbedeutend. Viel bedeutender war, daß mitten auf der Straße, mit dem Gesicht zum Pflaster, Hjalmar Nymark lag. Die zusammengerollte Zeitung lag halb geöffnet im Rinnstein, wo der rauhe Wind ein paar der Seiten aufflattern ließ, wie die Flügelschläge eines sterbenden Vogels. Und das war alles, was sich bewegte.
5 Norwegische Widerstandsorganisation während der deutschen Besetzung
1940-45
6 Die Partei der norwegischen Nationalsozialisten unter Vidkun Quisling
6
Ich kniete mich neben Hjalmar Nymark. Ihn zu berühren, wagte ich nicht, für den Fall, daß er das Genick gebrochen hatte, aber ich beugte mein Gesicht ganz tief zur Straße und versicherte mich, daß er nichts
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