Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
mich leicht gegen den Türrahmen. Dankert Muus sah mich böse an und ich sagte: »Erinnerst du was von dem Brand der Pfau-Fabrik, Muus?«
Ich sah, wie die Frage hinter seinen Stirnbrettern einsank und konnte förmlich sehen, wie sie in dem großen Echoraum dort drinnen hin und her prallten. »Pfau?« wiederholte er langsam. Dann kam er zur Besinnung. »Ich mach dich zum Pfau, du aufgeplusterter Papagei! Ich werd den Teufel tun und auf Fragen drittklassiger Amateure antworten! Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Er erhob sich drohend hinter seinem Schreibtisch und ich zog mich geschwind aus der Türöffnung zurück. Das bleichgraue Gesicht mit den blassen Augen, den breiten Kiefern und dem mausfarbenen Haar unter dem beuligen Hut war nicht eben schön, und es wurde auch nicht besser, als er sich um den Tisch herumbewegte und auf mich zukam. Aber er begnügte sich mit einem irritierten Grunzen, bevor er die Tür mit einem Knall vor mir zutrat.
Ich stand da und starrte auf sein Türschild. Oberwachtmeister Dankert Muus. Weiße Buchstaben auf blaugrauem Grund. Das sah fast ebenso einladend aus wie er selbst.
Auch die nächste Tür, zu der ich kam, stand halb offen. Es war der Tag der offenen Türen auf der Polizeiwache. Das nächste war wohl, daß sie zu einer Besichtigung einluden.
Vegard Vadheim stand vor seinem Bücherregal und blätterte in einem großen, roten Gesetzbuch. Er war mager, dunkelhaarig und gebeugt, mit ein paar grauen Locken hinter den Ohren. Früher einmal war er als Langstreckenläufer Mitglied der norwegischen Olympiamannschaft gewesen; sein internationaler Höhepunkt war das 10000-Meter-Finale in Melbourne 1956 gewesen. Einige Jahre später hatte er ein paar Gedichtsammlungen herausgegeben. Wir waren niemals direkt auf Kollisionskurs gewesen, und ich war tatsächlich in der Lage, eine annähernd gebildete Unterhaltung mit ihm zu führen, jedenfalls gemessen an dem Maßstab, mit dem einige andere in diesem Haus operierten. »Hallo«, sagte ich und er sah auf.
Die dunklen Augen sahen mich gedankenvoll an. Vegard Vadheim sah immer nachdenklich aus. Obwohl es zwanzig Jahre her war, daß er zuletzt etwas veröffentlicht hatte, bekam ich immer das Gefühl, als grübele er über irgendeine Strophe nach, als sei er ständig auf der Suche nach dem perfekten Wort, der einzig richtigen Formulierung. Er war ein Dichter von Natur, aber die Erfahrung sagte mir, daß er auch in höchstem Grade Realist sein konnte. Ich fragte: »Wann bist du nach Bergen gekommen, Vadheim?«
Er sah mich verwundert an. »Wann ich nach Bergen gekommen bin? Hat es dich zur Journalistik verschlagen, Veum?«
»Noch nicht. Es geht um Hjalmar Nymark.«
Sofort wurde er ernst. »Ja, ich habe von dem Unfall gehört. Häßliche Sache. Aber er soll ja wohl durchkommen, oder?«
»Ja. Hör zu …«
Er sah mich interessiert an. »Ich rieche die Lunte, Veum. Du meinst, es geschah vorsätzlich?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Aber Nymark hatte so viel zu erzählen. Viel Ballast.«
Er strich die Hand durch das Haar. »Komm erstmal rein, Veum« Er legte das Buch aus der Hand und setzte sich auf die Kante des Schreibtisches. Er zeigte auf einen freien Stuhl, aber ich blieb stehen und lehnte mich gegen die Wand.
»Kanntest du Hjalmar Nymark?« fragte ich.
»Ohja. Wir arbeiteten zusammen, bevor er ausschied. Später sah ich ihn nur sporadisch. Es ist selten, daß die Pensionierten hier vorbeikommen, Veum. Wir haben sowieso schon viel zuviel zu tun. Und das wissen sie.«
»Gibt es denn immer noch nicht genug von euch?«
»Nein«, sagte er kurz. »Ich kam nach Bergen Anfang der 60er Jahre. Hjalmar Nymark war viele Jahre lang einer meiner nächsten Mitarbeiter. Er hat mir vieles beigebracht.«
»Soll das mit anderen Worten heißen, daß … daß du … sag mal, war Hjalmar Nymark ein guter Polizist?«
Vegard Vadheim sah mich säuerlich an. »Ein guter Polizist? Es fragt sich, wie du den Begriff definierst. Möglicherweise haben wir da zwei unterschiedliche Auffassungen. Jedenfalls herrscht hier im Hause darüber große Uneinigkeit. Aber du sollst eine Antwort haben. Ja, meiner Meinung nach war Hjalmar Nymark ein sehr guter Polizist. Ich habe gelernt, mich auf seine Einschätzungen zu verlassen. Er besaß große Menschenkenntnis, und er war immer auf der Seite der Schwächeren, wenn du verstehst. Allzu viele von uns gehen nur nach den Paragraphen, aber der Ausgangspunkt muß der Mensch sein, den du triffst, Veum. Niemand ist unfehlbar.
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