Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Scheuerlappen gegen dein Fenster klatscht, dein bester Freund im Krankenhaus liegt, die lokale Erstligamannschaft auf dem schnellsten Wege wieder abwärts in die zweite ist, deine Aquavitflasche leer und du dir eine neue nicht leisten kannst?
Ich saß in meinem Büro und versuchte aufzuschreiben, was ich von dem, was Hjalmar Nymark mir erzählt und dem, was ich nachher auf der Polizeiwache erfahren hatte, erinnern konnte.
Ich versuchte, eine Art Zeitschema aufzustellen, das schon mit den 30er Jahren begann. Ich notierte, was ich über die Unternehmungen Harald Wulffs in der Periode von 1943 bis 45 gehört hatte, falls er wirklich ›Giftratte‹ war. Ich machte einen Kreis um die Jahreszahl 1953 und schrieb die Namen auf, die ich im Zusammenhang mit dem Brand bei Pfau gespeichert hatte: Harald Wulff (noch einmal), Elise Blom, zweimal dick unterstrichen (weil sie später mit Harald Wulff zusammengezogen war), Hagbart Helle(bust), Holger Karlsen (gest. 1953) und Olai Osvold ( ›Brandstelle‹ ). An den Rand, ein wenig schräg, sodaß er auch die Kriegsjahre abdeckte, schrieb ich noch einen Namen: Konrad Fanebust. Dann übersprang ich ein paar Jahre und erreichte 1971. Dort schrieb ich: Harald Wulff – tot? StauerJohan – verschwunden? Und zum Schluß zeichnete ich einen großen, dicken Pfeil zum unteren Rand des Blattes. Dort schrieb ich: 1981 – Hjalmar Nymark überfahren.
Ich saß da und sah das Blatt an. Es erzählte mir gar nichts. Nicht mehr als was ich schon wußte. Wenn es darin ein Muster gab, dann war es gut versteckt und die Spuren waren mindestens zehn Jahre alt. Wenn es überhaupt Spuren gab.
Wenn mir jemand angeboten hätte, die berühmte Nadel im Heuhaufen zu suchen, hätte ich meine Notgroschen eher darauf gesetzt.
Ich zog meine Schreibtischlade heraus, öffnete die Büroflasche und versicherte mich, daß ich mich recht erinnerte. Die Flasche war leer.
Es gab nichts, was ich tun konnte. Jedenfalls nicht, bevor ich mit Hjalmar Nymark gesprochen hatte. Und das sollte noch eine Weile dauern.
Es dauerte eine Woche, bis sie mich zu ihm ließen. In der Zwischenzeit hatte ich am Telefon ein paarmal mit Hamre gesprochen, nur um bestätigt zu bekommen, was mir die Zeitungen – durch ihr Schweigen – berichteten: daß nichts geschehen war.
An dem Tag, an dem ich Hjalmar Nymark besuchte, kaufte ich schnell einen Strauß Maiglöckchen, eine Tüte Trauben und ein Buch über ungelöste Kriminalfälle, das ich im Antiquariat im Markvei gefunden hatte (um einen Vorwand zu haben, über irgendetwas zu reden anzufangen).
Zur Besuchszeit in ein Krankenhaus zu kommen, ist ungefähr so, wie auf eine Beerdigung zu gehen. In der Schlange von Menschen auf dem Weg auf das Krankenhausgelände, alle mit den gleichen Reliquien unter dem Arm, der Konfektschachtel oder dem Blumenbüschel, fühlst du dich wie das Mitglied einer großen, geheimnisvollen Bruderschaft: der Gesunden.
Trotzdem gibt es nicht einen Menschen, der zur Besuchszeit in ein Krankenhaus kommt, ohne sich und sei es ein noch so kleines bißchen schlecht zu fühlen, ohne einen Schmerz zu spüren, sei er auch noch so klein – im Magen, im Herzen oder vielleicht nur im Nacken. Etwas ist da. Du bist nie völlig sicher. Vielleicht kommt ein Arzt und verdreht deine Augen, weil er meint, ein ihm wohlbekanntes Symptom zu sehen.
Vielleicht legen sie dich auf ein Bett und fahren dich in den Operationssaal, ohne daß du überhaupt Konfektschachtel und Blumenbüschel hast abliefern können.
Die Station, auf der Hjalmar Nymark lag, war im dritten Stock. Draußen auf den Korridoren lagen die Patienten in Reih und Glied. Diejenigen, die das Glück gehabt hatten, einen Fensterplatz zu bekommen, konnten von dort aus auf den großen Zentralblock sehen, in den einzuziehen sich niemand leisten konnte: noch ein Monument der raffinierten Transaktionen des Ölzeitalters in diesem Land, welches allen Prognosen zufolge zu den reichsten der Welt gehörte. Am Ende des Korridors kam ich zu einem langen, schmalen Sechzehnmannsaal, der in einem kleinen, stubenähnlichen Winkel in der äußersten Ecke des Gebäudes endete. Dort trieb der Zigarettenrauch wie Meeresnebel über den Patienten, die mit Rücken und Nacken auf einem schiefen Turm von Kopfkissen aufgestapelt lagen, während sie den allerletzten Rest des abendlichen Kinderprogramms im Fernsehen verfolgten. Die meisten von ihnen sahen aus, als seien sie weit über achtzig.
Hjalmar Nymark lag ungefähr in der Mitte der
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