Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
war ganz einfach kein Opfer, das einem sonderlich leidtat.«
»Und die Hinterbliebene, Elise Blom?«
Er zuckte mit den Schultern. »Tja, also – es gibt immer solche, die einem leidtun können. Aber aus den Verhören ging hervor, daß sie seine Kriegsvergangenheit kannte, sodaß … tja, vielleicht ist nicht jede Wahl eines Lebensgefährten gleichermaßen unproblematisch.«
»Wo war sie an dem Abend, als Harald Wulff ermordet wurde?«
»Beim Bingo.« Er fügte rasch hinzu: »Und ich kann dir versichern, daß auch bei ihnen zuhause gründliche technische Untersuchungen durchgeführt wurden. In dem Haus, wo sie und Wulff gewohnt hatten. Es gab nichts, was darauf hindeutete, daß sie irgendetwas mit dem Mord zu tun gehabt hätte.«
»Na dann«, sagte ich und machte eine resignierte Armbewegung.
»Und, ehrlich gesagt, Veum, ich kann nicht sehen, daß etwas von dem, was ich bis jetzt herausgefunden habe – weder über Wulff, noch über den Pfau-Brand oder Stauer-Johan – auch nur das Geringste mit dem Unfall Hjalmar Nymarks gestern nachmittag zu tun hätte.«
»Mit anderen Worten?«
»Mit anderen Worten, wir gehen von der Hypothese aus, daß dies einer der gewöhnlichen Fälle von Fahrerflucht ist, die von Zeit zu Zeit vorkommen. Das größte Verbrechen war, daß derjenige, der ihn anfuhr, nicht anhielt, sondern weiterfuhr. Vielleicht war es ein Promillefahrer, vielleicht jemand, der es einfach eilig hatte.«
»Aber der Wagen war doch gestohlen, oder?«
»Höchstwahrscheinlich. Aber wir überprüfen selbstverständlich die Angestellten des Sportgeschäfts gründlich.« Er seufzte. »All diese Ampeln – die sind nicht nur vom Guten, und diese Seitenstraße da, mitten zwischen zwei Kreuzungen, ist eine gefährliche Strecke. Die Autofahrer kommen über die erste Kreuzung und sehen die grüne Ampel an der nächsten. Also geben sie Vollgas, schließen die Augen und hoffen, daß alles gutgeht. Nur ab und zu kommt ihnen was in die Quere.«
»Und in diesem Falle war das Hjalmar Nymark.«
»Ja.«
»Tja.« Ich zuckte mit den Schultern. »Schließlich ist das euer Job. Sag mir nur …«
»Ja?«
»Ist heute jemand hier, der mit dem Fall Pfau zu tun gehabt hat?«
»Dankert Muus ist der einzige. Und der war damals nur ein junger Spucht.«
»Dankert Muus?« wiederholte ich.
»Ja. Ihr kennt euch ja von früher, oder?«
Ich stand auf. Hamre begann, vor sich in den Papieren aufzuräumen.
»Also, Veum. Sollten weitere Leichen auftauchen …«
»Leichen?« sagte ich.
Er lächelte entwaffnend. »Nur so ein Spruch. Tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe.«
Ich fühlte nach. »Nein. Heute nicht. Ich werde noch eine Weile im Katalog stehen.« Ich nickte kurz und verließ ihn, hinter seinem Schreibtisch sitzend, mit dem Tageslicht im Rücken.
10
Die Tür zum Büro nebenan stand einen Spalt offen. Ich sah Dankert Muus hinter seinem Schreibtisch sitzen. Er saß in einen Stapel Papiere vertieft, die der Dicke nach zu urteilen die Partitur des Einzugsmarsches der Bürokratie hätten sein können. Nur sah er nicht sonderlich musikalisch aus.
Dankert Muus saß in Hemdsärmeln. Die braune Jacke hing hinter ihm über dem Stuhlrücken und der Schlipsknoten war lose und unpolizeilich. Das Ganze hätte wirklich entspannt ausgesehen, wenn nicht der verbeulte, graue Hut gewesen wäre, den ihm jemand irgendwann einmal über den Kopf gestülpt hatte, und den er höchstwahrscheinlich nicht einmal in der Badewanne abnahm. Er war zu einem natürlichen Körperteil geworden. Ich hatte ihn jedenfalls nie ohne ihn gesehen.
Er mußte gespürt haben, daß ihn jemand ansah, denn plötzlich begegnete ich seinen Augen unter der Hutkrempe. Es war ein Gefühl, als träfe ein Schneidbrenner mich zwischen die Augen, und im selben Moment schnauzte er: »Was zum Teufel stehst du da und glotzt?«
Ich öffnete die Tür ganz und tat, als hätte ich vor, hineinzukommen.
»Ich fand plötzlich, daß ich lange nicht hier war, und …«
Er zeigte mit dem Finger vor meine Füße. »Nicht einen Zentimeter über diese Schwelle, Veum! Ich warne dich. Ich habe dir ein für allemal gesagt: ich will dich nicht sehen, ich will dich nicht hören, ich will nicht mit dir reden. Nicht ein einziges Wort.« Plötzlich wurde sein Ton butterweich. »Nicht bevor du fein artig auf der anderen Seite meines Schreibtisches platznimmst und ich dir eine erstklassige Anklage verpassen kann, mit Schleife drum und Sonntagsschulsternchen drauf. Verstanden?«
»Meldung erhalten«, sagte ich und lehnte
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