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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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wurde zum Kinn hin schmaler und über der Stirn lag eine helle Schicht blonder Locken. Die Augen wirkten scheu, und um ihren Mund lag ein nachdenklicher Zug.
    Und nun lag ihr Kind im Zimmer nebenan. Es hatte sich der ständig wachsenden Schar der Vorväter angeschlossen und was übrig war, war eine leere Hülle und eine tote, inhaltlose Gesichtsmaske.
    Ich sah mich um. Der Raum wirkte unbewohnt und verstaubt. Er hatte hier ein Menschenalter lang gewohnt. Nun würden neue Menschen einziehen, neuen Belag auf dem Boden ausrollen, starke Farben an die Wände klecksen, wenig farbenfrohe, geblümte Gardinen vor die Fenster hängen, die Wohnung mit Blumen und Bildern schmücken und mit Möbeln ausstaffieren, in denen man sich nur als Yogaspezialist wohlfühlen konnte.
    Die Haushaltshilfe kam aus dem Schlafzimmer. Sie warf einen schnellen Blick auf die Uhr. »Es gibt wohl nichts zu tun«, sagte sie.
    »Nein«, sagte ich kleinlaut. »Nichts, außer die Polizei anzurufen.«
Das breite Gesicht wurde noch flacher, die Haut spannte sich über den Wangenknochen, und ich ahnte, wie sie ihren Zeitplan sich in Luft auflösen sah.
»Die Polizei? Aber warum denn? Sie glauben doch nicht etwa …« Sie sah forschend zu meinem Gesicht auf.
Ich sagte: »Er war selbst Polizist. Vor ein paar Monaten erlitt er einen Unfall. Er wurde angefahren. Ich glaube, es wäre dumm von uns, nicht die Polizei anzurufen.«
Sie nickte.
Ich sagte schnell: »Würden Sie bitte so nett sein und das tun? Dann bleibe ich solange hier.«
Sie nickte: »Ist in Ordnung. Glauben Sie, wir müssen eine Erklärung abgeben?«
»Das ist sicher schnell gemacht«, sagte ich. »Ist ihnen auf der Treppe niemand begegnet, als Sie kamen?«
Sie sah mich verwundert an. »Auf der Treppe? Nein. – Niemand.«
Sie schüttelte den Kopf und ging zur Tür. Dann hielt sie plötzlich inne, wurde bedächtig in ihren Bewegungen.
»Das heißt …«
»Ja?«
»Auf der Treppe ist mir niemand begegnet. Aber es kam einer raus, als ich noch unten auf der Straße war.«
»Aus diesem Haus?«
»Ja. Er ging in die entgegengesetzte Richtung, deshalb konnte ich ihn nicht so deutlich sehen.«
»Ein Mann?«
»Ja. Er …« Sie biß sich auf die Lippen, dachte noch einmal nach. »Da war was an ihm.«
»Ja?«
Dann erhellte sich das Gesicht plötzlich und sie sagte: »Ja, das war’s! Er zog irgendwie das eine Bein nach, als ob er – ja, hinkte.«
Etwas Böses und Kaltes griff um meine Brust. »Sind Sie sicher, daß er … daß er wirklich … hinkte?«
»Ja, so sicher, wie ich hier stehe. Hat das was zu bedeuten?«
»Ich weiß nicht. Aber vergessen Sie um Himmels Willen nicht, das der Polizei zu erzählen! Vergessen Sie das nicht!«
»Nein, ist gut. Nein, werde ich nicht.«
Dann warf sie einen unbestimmbaren Blick in Richtung Schlafzimmer, machte eine Bewegung mit der freien Hand, umklammerte fest mit der anderen ihre Handtasche und war aus dem Zimmer.
Ich blieb zurück und sah mich noch einmal um. Der Raum hatte eine neue Atmosphäre bekommen. Ich durchforschte ihn. Gab es irgendetwas, das nicht stimmte? Die Türen der Anrichte, stand nicht die eine einen winzigen Spalt offen, als hätte gerade eben jemand sie geöffnet und danach nicht wieder ordentlich geschlossen? Der Zeitungsstapel neben dem Ofen, war der nicht unordentlicher, als bei meinem letzten Besuch? Und was war mit dem Schlafzimmer?
Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf.
Ich ging ins Schlafzimmer. Ich versuchte, nicht direkt zu Hjalmar Nymark zu sehen. Ich ging auf die Knie und sah unter das Bett. Ich stand wieder auf und öffnete den Kleiderschrank, stellte mich auf die Zehen und sah auf das oberste Bord, verrückte ein paar Pappschachteln. Ich schob die zwei Anzüge und die vier Hemden zur Seite, verstellte die Schuhe auf dem Boden. Ich zog einen Hocker an den Schrank heran, stieg hinauf und sah auf dem Schrank nach. Hinten an der Wand lag eine alte Strickjacke. Sonst war dort oben nichts als Staub.
Ich stieg wieder herunter und blieb stehen. Ließ den Blick durch den ganzen Raum gleiten. Die letzte Möglichkeit war der Nachttisch. Ich öffnete die Schublade. Dort lag eine alte Bibel und eine Illustrierte mit angeblich aktuellen Kriminalreportagen. Ich öffnete die Klappe darunter. Dort lag ein gebrauchtes Taschentuch, ein Fetzen einer alten Zeitung und eine leere Leimtube. Sonst nichts.
Ich richtete mich auf und starrte direkt auf Hjalmar Nymark. Seine Augen waren gläsern und starr. Sie verrieten nichts.
Ich ging wieder aus dem Zimmer und

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