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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Fingerabdrücke über die ganze Wohnung verteilt? Sodaß keine anderen mehr zu finden sind?«
»Das spielt keine Rolle, das weißt du genausogut wie ich. Wenn hier fremde Fingerabdrücke sind, dann wirst du sie trotzdem finden. Außerdem ist nicht sicher, daß der, der hier war, überhaupt zu suchen brauchte. Als Hjalmar Nymark die Schachtel holte, damals, war er hier drin – im Schlafzimmer. Entweder hat sie unter dem Bett gestanden, ganz oben im Kleiderschrank oder unter dem Nachttisch. Ich tippe auf das Bett. Der, der sie mitgenommen hat …«
» Wenn jemand sie mitgenommen hat«, unterbrach mich Hamre. Er sah bleich aus. Viel Sonne hatte es da, wo er die Sommerferien verbracht hatte, auch nicht gegeben. Der Stoppelbart zeigte sich deutlich und es war etwas Zähes, Graues an ihm, das kein gutes Wetter verhieß. Er wandte sich an die beiden anderen.
»Beordert die nötigen Leute her und führt die routinemäßigen Untersuchungen in der Wohnung durch. Ich nehme Veum mit mir auf die Wache, damit er seine Aussage machen kann.«
Zu Tora Lie sagte er freundlich: »Sie können ruhig ihre anderen Patienten besuchen, wenn Sie nur so nett wären, sich später im Laufe des Tages bei mir auf der Polizeiwache zu melden.«
Die Haushaltshilfe nickte dankbar. Hamre nickte mit dem Kopf in Richtung Tür und sah mich starr an.
»Na los, Veum.«
Ich folgte Tora Lie auf den Fersen durch die Tür. In der Türöffnung drehte ich mich um und sah zurück. Jon Andersen stand da und studierte interessiert die Bilder der Eltern Hjalmar Nymarks, während Peder Isachsen mürrisch die Fensternische betrachtete, als erwarte er, dort schlagende Beweise zu finden. Im Zimmer dahinter lag Hjalmar Nymark auf dem ›lit de parade‹, wie ein zufällig hinterlassener Gegenstand. Ich ging aus dem Zimmer und durch die Eingangstür mit der zerbrochenen Scheibe. Unten auf der Treppe hörte ich Tora Lie etwas sagen und Hamre leise, aber freundlich antworten – wie es sein Stil war. Ich folgte ihnen, mit dem unbehaglichen Gefühl, immer zu spät aufzutauchen – wie es mein Stil war.
15
    Als wir auf die Wache kamen, bat Hamre mich, zu warten. Ich nahm auf einem der Stühle mitten vor der Schranke Platz, hinter der vornübergebeugt ein älterer, bebrillter Polizist saß und die Sportseiten in einer der Tageszeitungen las. Er hatte einen verstörten Gesichtsausdruck, und das verwunderte mich nicht. Die lokale Erstligamannschaft hatte am Tag zuvor haushoch verloren, und nun hatte auch noch die Mannschaft der zweiten Liga zu verlieren begonnen.
    Die Polizeiwache trägt Merkmale eines Wartezimmers. Diejenigen, die dort warten, sind vielleicht nicht gerade todkrank, aber die meisten von ihnen sehen so aus. Einige sitzen da und drehen nervös die Daumen. Andre murmeln leise vor sich hin, Litaneien wie die Erklärung der zehn Gebote im Konfirmandenunterricht früherer Zeiten. Lose Vögel kommen und gehen, einige ziemlich verlottert, andere durchaus nicht ohne Bravour. Als ob die Schattenseite des Lebens Revue passierte. Und in der ersten Reihe im Orchester sitzt: der waschbare Veum, die Hoffnung, die nie verblaßt.
    In gewisser Weise war es, als säße man im Wartezimmer eines Zahnarztes, ohne einen Termin zu haben. Alle, die neben mir saßen, wurden einer nach dem anderen hereingeholt und wieder hinausgelotst. Ich blieb sitzen, lange Zeit ganz allein.
    Hamre war ein paarmal draußen in der Wache, ohne ein Zeichen zu geben, daß ich mit hineinkommen sollte. Er ging mit schnellen Schritten: ein effektiver und energischer junger Mann auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Ich saß da und sah zu und fragte mich, was das wohl für ein Gefühl sein mußte. Ich war nie so hoch gewesen. Vielleicht würde ich es auch nicht verkraften. Mir würde wohl schwindelig werden.
    Andere Polizisten gingen vorbei, wie eine Kavalkade mehr oder weniger mißglückter Karikaturen. Dankert Muus trampelte vorbei wie ein liebeskranker Elefant.
    Ellingsen und Boe hatten wieder zueinander gefunden, aber Ellingsen zog immer noch das eine Bein nach, nach dem Beinbruch vor ein paar Jahren. Er sei zu früh aufgestanden, sagten sie – wenn nicht seine Frau ihn aus dem Bett geworfen hatte. Sie hieß Vibeke, und ich hatte sie einmal ein bißchen näher gekannt, als wir zur Schule gingen. Wenn ich nachrechnete, war es sicher zehn Jahre her, daß ich sie zuletzt gesehen hatte, aber es amüsierte mich – in fröhlichen Stunden – Ellingsen glauben zu machen, daß es häufiger vorkam. Deshalb grüßte

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