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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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er auch nicht, als er vorbeiging. Aber Boe opferte mir einen schrägen Blick und einen diskreten Gruß mit den Augenbrauen. Er war schmaler als Ellingsen, magerer im Gesicht und mit dünnerer Vegetation auf dem Hochplateau.
    Jon Andersen ging einen Schritt weiter: er kam herüber und wechselte ein paar Worte. »Wir checken gerade«, murmelte er.
»Was denn?« fragte ich.
»Du weißt doch«, sagte er, warf einen scheuen Blick auf den Wachhabenden und schlurfte weiter.
Eva Jensen kam vorbei, ohne mich zu bemerken. Ich folgte ihr mit dem Blick. Sie ging federnd. Vielleicht spielte sie Handball, oder lief für den Polizeisportverein. Von Vadheim sah ich nichts.
Endlich kam Hamre wieder heraus. Mit einem kurzen Blick wandte er sich an mich und bedeutete mit einem krummen Finger an, daß ich mitkommen sollte.
Ich folgte ihm in den dritten Stock, den Korridor entlang und in sein Büro. Er schloß die Tür hinter mir und wies auf einen Stuhl. Ich sah auf die Uhr. Es waren zwei Stunden vergangen. Ich fühlte mich hungrig und hoffte, daß es nicht zu lange dauern würde.
Er setzte sich hinter den Schreibtisch und kam direkt zur Sache. »Wir haben mit den beiden Pflegern gesprochen, die ihn vom Krankenhaus nach Hause begleitet haben.«
Ich beugte mich vor. »Ja, und?«
»Sie waren unsicher. Sie brachten ihn ganz bis nach oben. Er wollte selber gehen, aber er hatte Schwierigkeiten, allein hochzukommen.«
In mir zog es sich zusammen. »Das kann ich mir denken. Aber sie brachten ihn nur rauf und ließen ihn dann zurück. Ungefähr, als brächten sie morgens den Abfalleimer nach draußen.«
Er machte eine resignierte Handbewegung. »Mir gefällt das ja auch nicht, Veum. Aber diese Männer konnten doch nun wirklich nichts tun. Sie hatten einen Auftrag auszuführen. Und die Krankenhausverwaltung ist genauso hilflos, gebunden durch Tarifabsprachen und Arbeitsschutzgesetz, stramme Budgets und Personalmangel. Und dann sind Ferien. Sie mußten ihn einfach gehen lassen.«
Ich sagte bitter: »Das mußten sie wohl. Hochwohlgeborene Administratoren sitzen da und pochen auf Budgets, die ebenso hochwohlgeborene Politiker für sie zurechtgelegt haben. Hast du jemals von Politikern gehört, die verhungert sind, oder die zweimal die Woche eine Haushaltshilfe bekommen, oder in kleinen Wohnungen liegen und verrotten, weil niemand kommt und bemerkt, daß sie tot sind? Hast du mal gehört, daß sowas Politikern passiert?«
»Nein.«
»Aber Gnade den armen Teufeln, die den Fehler gemacht haben, in diesem sogenannten Wohlfahrtsstaat alt zu werden. Arme Teufel, wenn sie anfangen, nachzurechnen, wie viele Steuern sie im Laufe all der Jahre von ihrem Lohn gezahlt haben und sich fragen, was sie jetzt davon haben, wo sie das Geld vielleicht brauchen könnten.«
»Du weißt, wie das ist, Veum. Jeder denkt an sich. Wir sind einfach zu wenige, auch hier im Haus. Du solltest die Überstundenlisten sehen.«
Ich sagte müde: »Ich weiß, ich weiß. Aber es gibt schwächere Gruppen als euch. Leute, die in Rente gegangen sind. Oder Jugendliche, die Schlange stehen, um Arbeit zu kriegen, in der Lebensphase, in der sie am verletzbarsten sind. Bei den Alten wird schon dafür gesorgt, daß sie so schnell wie möglich unter die Erde kommen. Die Jungen kommen an Stoff oder Alkohol, allzuviele jedenfalls. Wir sind nicht zu bedauern, Hamre, Leute wie du und ich. Alles, was wir haben, sind Beziehungsprobleme und lästige Überstundenlisten. Aber das sind doch alles nur Luxusprobleme, Hamre, verstehst du?«
Er sah mich schwermütig an und sagte: »Auch du zehrst jetzt gerade von meinen Überstunden, Veum. Um da weiterzumachen, wo du unterbrochen hast …«
»Tut mir leid, ich …«
»Ist schon in Ordnung.«
»Verstehst du, Hjalmar Nymark und ich, wir …«
»Ich sagte, es ist in Ordnung, Veum. Kann ich weitermachen?«
Ich hob resigniert die Hände. Die Leute haben keine Zeit, sich von Freundschaft erzählen zu lassen. Sie haben ja kaum Zeit, Freundschaften aufzubauen. Es könnte ihre festgesetzte Arbeitszeit überschreiten.
Er fuhr fort: »Sie brachten ihn also nach oben und begleiteten ihn hinein. Sie nahmen sich auch noch die Zeit, ihn zu fragen, ob sie ihm was zu Essen machen könnten. Aber er sagte, es sei in Ordnung und daß er sich ein bißchen aufs Ohr legen und warten wolle, bis die Haushaltshilfe käme. Sie halfen ihm in sein Bett. Und dann … Dann sind sie gegangen.«
»Soso. Und ließen die Tür offenstehen, so wie man es ihnen aufgetragen hatte?«
»Tja, das ist

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