Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
so eine Sache. Sie waren sich da nicht so sicher. Du weißt, wie das ist, wenn zwei Leute etwas tun sollen. Der eine glaubt, der andere tut es, und der andere glaubt, daß der erste es schon getan hat. Sie konnten also für nichts garantieren, aber der eine von ihnen meinte, er habe das Schloß festgeklemmt, und die Tür danach nur hinter sich zugezogen.«
»Tja.« Ich seufzte und setzte hinzu: »Aber wir können jedenfalls davon ausgehen, daß sie offenstand und als die Haushaltshilfe und ich ankamen, da war sie verschlossen.«
»Sie kam also als erste?«
»Ja. Sie stand da oben, als ich kam, und sie … Sag mal, ihr verdächtigt doch wohl nicht sie, …«
»Wir verdächtigen niemanden, Veum.«
»Und sie erzählte, wie gesagt, daß sie einen Mann das Haus verlassen sah, gerade als sie kam. Einen, der auf dem einen Bein hinkte.«
Er zog eine Grimasse. »Also ehrlich, Veum. Laß uns nicht melodramatisch werden. Ich verstehe, daß du verzweifelt bist über den Tod eines guten Freundes, und ich kann dir versichern, wir mögen es auch nicht, daß pensionierte Kollegen auf diese Weise sterben.«
»Schon. Aber du mußt doch auch das Auffällige an der Sache sehen. Erst der Unfall und dann – am ersten Tag, als er wieder aus dem Krankenhaus raus ist, liegt er tot im Bett.«
»Das erste, was wir herausfinden werden, ist die Todesursache.«
»Ich tippe, daß er erstickt ist.«
Er zuckte mit den Schultern.
Ich fuhr fort: »Das Kopfkissen. Es lag auf dem Boden. Das Natürlichste ist doch wohl, daß man es unter dem Kopf hat, oder? Ein alter, invalider Mann in einem Bett – und ein Kopfkissen. Jeder X-beliebige könnte ihn umgebracht haben – ein Kind, eine Frau …«
Er kratzte sich an der Stirn. »Die Obduktion wird das klären. In der Zwischenzeit unternehmen wir selbstverständlich alles, was wir nur können. Die Wohnung wird genauestens durchkämmt. Wir werden die Haushaltshilfe gründlich verhören – vielleicht eine Personenbeschreibung des hinkenden Mannes bekommen, eine Fahndung rausschicken. Ich versichere dir: wir werden alles tun, was in unserer Macht steht. Du kannst ganz beruhigt sein.«
»Und die Pappschachtel mit den Zeitungsausschnitten. Ich bin sicher, daß er sie nicht irgendwo außerhalb der Wohnung versteckt hat. Der Unfall kam doch so plötzlich und – ich glaube, er hätte das erwähnt … Wenn sie nicht mehr da ist, dann hast du doch da das Motiv.«
»Es ist nur so, Veum, daß du, soweit wir wissen, der einzige bist, dem er die Schachtel gezeigt hat.«
»Da muß es auch noch andere geben. Finde das heraus!«
»Wir werden, wie gesagt – Aber du weißt, wie das ist: eine Behauptung ist nicht mal das Papier wert, auf das man sie schreibt – wenn sie nicht durch Beweise gestützt werden kann, oder identische Zeugenaussagen!«
Ich nickte düster. Das hörte sich nicht sehr ermutigend an. Ich hätte vorher daran denken sollen. Als Hjalmar Nymark überfahren wurde, hätte ich mir irgendwie den Schlüssel zu seiner Wohnung besorgen, die Schachtel holen und an einen sicheren Ort bringen sollen. Das Material in der kleinen Pappschachtel war einzigartig gewesen. Wenn es verschwunden war, befürchtete ich, daß vor der Affaire um den Pfau-Brand ein für allemal der Vorhang gefallen war, daß die Identität der ›Giftratte‹ für alle Zeit verborgen bleiben würde und daß Hjalmar Nymark, was diese Fälle betraf, die letzten Reste von Neugier mit über den Jordan genommen hatte – dorthin, wo niemand in anderen Archivmappen wühlt als in der einen, entscheidenden und dorthin, wo alle Geheimnisse endgültig gelüftet werden.
»Weiter war nichts?« fragte ich Jacob E. Hamre.
»Weiter war nichts.«
»Meldest du dich, wenn der Obduktionsbericht vorliegt?«
»Ja. Aus alter – Freundschaft«. Ich verstand die kleine Pause vor dem einen Wort. Es war eher eine Phrase als alles andere.
16
Tage mit plötzlichen Todesfällen sind Tage, die einen zurückwerfen. Ich saß im Büro, ein paar Stunden waren vergangen. Der Arbeitstag war für die meisten vorbei und die Stadt dabei, sich zu leeren. Wie durch ein Wunder hatte jemand die Wolken vom Himmel gewischt. Ein paar kleine wollene Miniaturschafe hingen draußen über Askøy und bekamen Farbe auf dem Bauch von der fallenden Nachmittagssonne. Ein goldenes Licht füllte die Stadt, flocht sich zwischen die steilen Hausfassaden, schuf plötzliche Reliefs auf dem Straßenpflaster und ließ es in blanken Fensterscheiben blitzen.
Ich war nicht in der Lage gewesen, irgendetwas
Weitere Kostenlose Bücher