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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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damit, daß wir – gemeinsame Interessen haben sollten?«
»Ich meine, daß Grund besteht, zu glauben, daß Ihr Mann endlich entlastet werden könnte.«
»Wenn es Geld ist, worauf Sie aus sind, äh – Veum, dann kann ich Ihnen versichern, daß …«
»Überhaupt nicht, Frau Karlsen. Das versichere ich Ihnen. Ich interessiere mich für Ihre Sicht der Sache, Ihre Gedanken darumherum, was Sie auch zu erzählen haben mögen. Ich brauche Ihre Zeugenaussage, sozusagen. Das ist alles. Vorausgesetzt, daß Sie nicht meinen, es sei zu schmerzhaft, in all dem nochmal herumzugraben.«
»Glauben Sie mir, Veum – gerade das macht gar nicht so viel. Ich werde sowieso mit der Geschichte niemals fertig. Ich habe die letzten 28 Jahre darin herumgegraben, also …«
»Könnte ich einmal bei Ihnen vorbeikommen?«
Es entstand eine kleine Pause. »Gerade heute paßt es nicht so gut. Aber wenn Sie morgen kommen könnten, recht früh?«
»Was meinen Sie mit recht früh?«
»Neun, halb zehn? Sie kriegen auch Kaffee …«
»Das klingt ausgezeichnet. Dann ist das abgemacht, ja?«
»In Ordnung.«
Wir sagten Auf Wiedersehen und legten auf. Ich blieb, wie schon so oft, sitzen und starrte aus dem Fenster. Es war Nachmittag geworden. Vågen lag grau und flach da, der Fjellhang mit den matten Augustfarben, von vereinzelten braungrünen Flächen durchsetzt, dort, wo die ersten Blätter nach dem monatelangen Regen schon zu verfaulen begonnen hatten. Und der Himmel darüber: grauweiß und undurchdringlich.
An diesem Tag war Hjalmar Nymark zu Asche geworden und ich hatte meine allererste Verabredung in dieser Angelegenheit getroffen.

21
    Ich erwachte zu einem neuen grauen Tag. August hing mit dem Schnabel über der Stadt, wie ein zerzauster Seevogel. Die Wolken lagen wie dunkler Blasentang über Askøy und das erste Regentreiben war schon in der Luft.
    Sigrid Karlsen wohnte in einem schmalen, zweistöckigen Holzhaus, dessen Front sich zum Giebel hin nach vorn zu neigen schien. Es war weiß, aber nicht neu gestrichen.
    Die Eingangstür stand offen. Ein dunkler Gang führte zu einer Wohnung im Erdgeschoß, an deren Tür ein anderer Name stand. Eine Treppe führte ins erste Stockwerk hinauf. Dort wohnte Sigrid Karlsen hinter einer grünen Tür mit hohen, schmalen Fenstern und geriffeltem Glas. Ich drückte auf die Türklingel. Bald bewegte es sich in der Wohnung dahinter und eine kleine Frau öffnete mit einem vorsichtigen Lächeln die Tür.
    »Frau Karlsen? Ich bin Veum.«
Sie öffnete die Tür vollends. »Kommen Sie herein.«
    Wir kamen in einen kleinen, schmalen Vorflur, in dem kaum für mehr als eine Kommode und einen Spiegel Platz war. Die Kommode hatte eine deutliche Schramme an einer Ecke und quer über den Spiegel lief ein Sprung.
    Sie streckte die Hand aus. »Sigrid Karlsen.«
»Varg Veum. Freut mich!«
»Ich werde Ihnen Ihren Mantel abnehmen, dann …« »Danke.«
»Wir gehen rüber in die Küche. Hier.«
Ich folgte ihr gehorsam. Wir kamen in eine kleine, weißge
    tünchte Küche mit blaukarierten Gardinen vor den Fenstern, einem hellen Tuch auf dem Tisch und einem angenehmen Duft von Kaffee vom Ofen her. Die Küchenschränke hatten blaue Türen und an der Wand über dem Kühlschrank hing ein Kalender mit dem Bild eines Jungen und eines Hundes, die über eine dieser Blumenwiesen liefen, wie es sie nur auf solchen Bildern gibt. Auf dem Küchentisch stand ein Radio und erfüllte den Raum mit Kaffeekränzchenmusik, garniert mit entspanntem Geplauder.
    Die Küche ging nach Norden hinaus, und über die Dächer der Nachbarhäuser sahen wir die Turmspitze der Nykirke ragen. Sigrid Karlsen zog einen Stuhl heran und holte Tassen, Untertassen und einen Teller für jeden von uns. In einer Schale lagen ein paar Kekse, und sie fragte, ob ich Sahne in den Kaffee haben wolle. Ich sagte nein danke und sie schenkte Kaffee in die Tassen. Während sie sich setzte, an die andere Seite des Tisches, sagte sie: »Ich war ein bißchen überrascht. Als Sie anriefen.«
    »Das verstehe ich gut. Es ist ja so lange her.«
»Ja …« Sie sah gedankenverloren aus dem Fenster. Ihre Augen waren blau, hinter großen, silbern eingefaßten Brillengläsern, das Haar blond mit einer Ahnung von grau darin. Die
    Gesichtszüge waren regelmäßig und jungmädchenhaft und nur die feinen Fältchen um Augen und Mund verrieten ihr Alter, das ich auf irgendwo zwischen fünfzig und sechzig schätzte. Sie war klein und zierlich, trug ein blaues Baumwollkleid und eine leichte, beigefarbene

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