Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
oben vom Haugevei. Und kam nicht vor dem Abendessen, um fünf Uhr, nach Hause. Aber obwohl er müde war – und du weißt, eine Farbenfabrik, damals gab es nicht die gleiche Kontrolle, welche Stoffe benutzt wurden, wie heute – er hatte oft Kopfschmerzen. Er war ein guter Mensch, in Viken aufgewachsen, als jüngster von acht – und dann sollte er so früh sterben und so einen Nachruf bekommen. Es gab Leute, die mich danach noch jahrelang anriefen, Veum. Witwen von anderen, die da oben umgekommen waren. Sie riefen an und kamen mit Drohungen und sagten, daß Holgerdaß sie wünschten, er – würde in der Hölle schmoren, weil er ihre Männer ermordet hätte. Eine von ihnen schickte mir Blumen – jedes Jahr, am Jahrestag des Brandes – noch acht-neun Jahre nachher! Das erste Mal ahnte ich ja noch nicht, von wem sie waren und öffnete den Briefumschlag. ›Herzlichen Glückwunsch‹ stand auf der Karte. ›Gruß …‹ Später warf ich die Blumen in den Müll. Ich rief den Blumenladen an und bat, mir keine mehr zu schicken, aber da ging sie zu einem anderen. Ich rief die Polizei an, aber die sagten, sie könnten nichts tun. Zum Schluß hörte es von selbst auf. – Die Arme, sie war natürlich krank. Aber es waren ein paar böse Jahre, danach. Ich war allein mit Anita und es dauerte lange, bis die Versicherungsgesellschaft die Police auszahlen wollte. Sie behaupteten … – aber wenigstens in dem Punkt war die Polizei in Ordnung. Sie sagten, nichts könne bewiesen werden, weder Holgers Schuld, noch das Gegenteil. Und da es keine Beweise gab, mußten sie zum Schluß bezahlen. Ich sprach mit meinem Anwalt und der half mir. Aber das kostete Kraft, glaub mir. Ich hoffe, daß ich nie mehr was ähnliches erleben muß. Und das Schlimmste war, daß ich – ich wußte doch, daß er unschuldig war. Ich wußte, was er gesagt hatte, und ich kannte doch diesen Mann – besser, als irgendjemand sonst.«
»Erzähl, was er sagte.«
Sie sah an mir vorbei, fast dreißig Jahre zurück in der Zeit. »Er klagte selten. Er war Vertrauensmann im Betriebsrat über mehrere Amtszeiten, aber er gehörte nicht zu den Revolutionären. Von Natur war er Sozialdemokrat.«
»Wie die meisten Norweger.«
»Ja, vielleicht. Jedenfalls war er ein Mann der Zusammenarbeit. Wenn er eine Lösung aushandeln konnte, versuchte er Konflikte zu vermeiden. Aber selbstverständlich entstanden auch Situationen … – während der Lohnverhandlungen zum Beispiel … und er konnte stur sein, er wußte, was er wollte. Doch gerade in solchen Zeiten beklagte er sich nie. Es kam nur etwas über ihn – eine Art Traurigkeit. Er bekam lange, betrübte Furchen in der Stirn, die Augen wurden dunkler und sein Mund bekam einen scharfen, fast verbitterten Zug. Dabei war er so schön. Er konnte an einen jungen Dichter erinnern, einen Rudolf Nilsen vielleicht. Aber das war er ja nicht. Er saß am Verhandlungstisch und da ging es um Zahlen, um Arbeitsstunden und Wochenlohn.« Sie hielt inne, schenkte heißen Kaffee in unsere noch halbvollen Tassen, saß einfach nur da und schien dem Radio zuzuhören, aus dem ein Akkordeonensemble mit viel triefendem Gefühl den »Traum von Elin« spielte.
Dann sagte sie: »Die letzten Tage vor dem Brand war er genauso.«
»Trübsinnig?«
»Ja. Und ihm war unwohl. Ich sah es ihm an. Er war bleich, und mochte kaum was essen. Einmal, nachts – oder früh morgens – als er nicht wußte, daß ich wach lag, hörte ich, daß er auf dem Klo war, um sich zu erbrechen, ohne etwas herauszukriegen. Ich ließ vorsichtig anklingen, ob er nicht mal zum Arzt gehen sollte, aber er schüttelte nur den Kopf. Dann fragte ich, ob er irgendwelche Beschwerden hätte. – Da sah er mich nur mit diesem traurigen Blick an. Ich konnte sehen, wie die Muskeln in seinem Gesicht arbeiteten. Aber er sagte nichts. Nicht bevor er abends von der Arbeit kam. Plötzlich, beim Kaffee, stieß er hervor: Morgen geh ich zur Leitung! – Ich erinnere jedes Wort, als wäre es gestern gewesen – Morgen geh ich zur Leitung. Da muß eine Leckage sein, ich bin mir ganz sicher. Da sind noch andere außer mir, die Beschwerden gehabt haben. – Er erzählte, daß mehrere der anderen, die in der Produktionshalle arbeiteten, in der letzten Zeit von Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit geplagt gewesen seien, und er war überzeugt davon, daß irgendwo eine Leckage sein müsse. Ausströmendes Gas.« Ihre Stimme brach kaum merklich, als sie sagte: »Es hätte auch Explosionsgefahr bestehen

Weitere Kostenlose Bücher