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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Strickjacke über den Schultern. Wenn sie Schminke benutzte, dann mit großem Talent.
    Sie nahm ihren Blick vom Fenster und sah ein wenig scheu wieder mich an.
»Ich kenne mich gut aus hier draußen«, sagte ich. »Ich bin selbst in Nordnes aufgewachsen, nur ein bißchen weiter draußen.«
»Was du nicht sagst. Wir sagen doch ›du‹, oder? Ich wohne hier seit gleich nach dem Krieg. Wir wohnten hier, als … Holger hatte eine Wohnung versprochen bekommen gleich nach dem Krieg. Die Miete war nicht so schlimm, daß wir es nicht schaffen konnten. Er hatte eine gute Stellung und wir hatten gespart, was wir konnten. Wir haben es hier gut gehabt.«
Ich sah aus dem Fenster. »Dann hast du hier sicher einmal am Fenster gesessen und auf die Straße gesehen – und ich lief da unten, als Junge. Ich erinnere, daß wir hier ab und zu eingekauft haben. Es lag ein Fischgeschäft direkt hier unten, das stimmt doch, oder?«
»Doch.« Sie lächelte schwach. »Es lagen mehrere Geschäfte hier, damals. Jetzt sind nicht mehr viele übrig.«
»Nein.«
»Aber du mußt erzählen …«
»Ja. Aber ich glaube, ich möchte dich anfangen lassen, wenn du nichts dagegen hast.«
»Also gut. Was willst du wissen?«
»Ich möchte, daß du einfach erzählst, alles, was dir so einfällt, was du erinnern kannst von den Ereignissen vor und nach dem furchtbaren Brand.«
Sie nickte langsam. »Ich glaube, ich …«
Sie erhob sich und schenkte mir Kaffee nach. Dann sagte sie: »Ich hole nur eben …« Sie ging ins Wohnzimmer. Die Tür ließ sie nur angelehnt und ich sah einen Streifen eines dunklen Raums mit altmodischer Tapete in seidenartigem Blattmuster, alten Möbeln und einem Fernsehapparat, der dort nicht hinzugehören schien.
Sie kam mit einer eingerahmten Fotografie zurück. Die gab sie mir und ich saß eine Weile damit in der Hand da.
»Das sind wir an unserem Hochzeitstag. Das war 1947.«
Es war ein feierliches, gestelltes Bild. Die zwei jungen Menschen blickten starr in die Kamera, mit einem Lächeln, das wie in die Gesichter hineinretouchiert wirkte. Ich blickte zu ihr auf. Sie hatte sich nicht sehr verändert, aber es war mehr als dreißig Jahre her. Auf dem Bild hatte sie etwas Frisches, Jungmädchenhaftes an sich, etwas Helles und Sonniges. Der Mann an ihrer Seite war größer und dunkler. Das Gesicht war markant, mager mit einem kräftigen Kinn. Es war ein schönes Gesicht, aber er wirkte auffallend deplaziert in dem dunklen Anzug mit den breiten Aufschlägen, und die weiße Nelke im Knopfloch gehörte dort einfach nicht hin. Ich konnte ihn mir gut im Arbeitsanzug vorstellen. Das dunkle Haar war aus der Stirn gestrichen und direkt über den Ohren kurzgeschnitten.
Sie sagte: »Er war neunundzwanzig. Ich war sieben Jahre jünger.«
Ihr Kleid war weiß und weitfallend, der Brautstrauß üppig. »Die Nykirke war noch nicht wieder aufgebaut nach dem Krieg, also heirateten wir in St. Markus. Aber die Hochzeit selbst hielten wir in der Koch- und Stewart-Schule. Das war im November, bei klarem Wetter.«
Ich nickte. »Und er war Vorarbeiter bei Pfau?«
»Ja. Er war es gerade geworden und damit stieg sein Lohn um so viel, daß wir meinten, wir könnten es uns leisten zu heiraten. Wir hatten einander seit 1942 gekannt. Ostern.«
Sie hielt die Kaffeetasse in beiden Händen. »Das ist fast wie ein anderes Jahrhundert, die Zeit nach dem Krieg. Es waren magere Jahre, aber wir waren froh, daß der Krieg vorbei war, und wir waren voller Optimismus. Holger und ich waren jung und glücklich und wir glaubten, wir hätten die Zukunft vor uns. 1949 bekamen wir Anita. Es war eine schwere Geburt, denn ich war etwas zu schmal, aber es ging trotzdem gut. Oh, wenn ich zurückdenke … Ich seh ihn vor mir, frühmorgens, wenn er zur Arbeit sollte. Er saß da – genau da, wo du jetzt sitzt. Er war – ich fand, er war ein wunderschöner Mann. Ich habe ihn ja auch sehr geliebt.«
Leise sagte sie: »Tue es noch immer.«
»Er …«
»Er hatte das karierte Arbeitshemd an, die braunen Schuhe, den etwas zu langen Gürtel um – weil er doch so dünn war, der Arme. Er trank Kaffee und aß sein Brot und wenn Anita wach war, nahm er sie auf seinen Schoß und alberte und lachte. Er war ein guter Vater und er nahm sich Zeit für die Kleine. Sowas war damals durchaus noch ungewöhnlich und die anderen Kerle in der Gegend sahen ihm lange nach, wenn er mit Anita in der Karre den Abendspaziergang machte …« Sie setzte die Tasse ab. »Dann ging er also – oder nahm den Bus. Linie 6

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