Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
irgendwelche Scherereien zu machen, dann würd ich dir jetzt ein paar Kniffe aus dem Ausland zeigen. Aber wir sind noch nicht fertig miteinander, also fühl dich bloß nicht zu sicher. Eins kann ich dir im Vertrauen sagen: Hagbart Helle wird sich in diesem Haus aufhalten bis kurz bevor er zurückreist. Er wird sich nicht vor die Tür bewegen und du hast keine Möglichkeit, ins Haus reinzukommen, um mit ihm zu sprechen. Wenn du also keine Lust hast, den Tag völlig zu vergeuden, würde ich dir empfehlen, ihn auf bessere Weise zu nutzen. Ich kann dir versichern – es findet hier niemand, daß du die Straße sonderlich schmückst.«
Ich sah mich verwundert um. »Nein? Fehlt mir vielleicht der Blazer? Die Mitgliedschaft im königlichen Automobilclub? Wir leben in einem freien Land, Wiig, jedenfalls dem Anschein nach, und ich halte mich genau da auf, wo ich will und solange ich will.«
»Also gut.« Er öffnete die Fäuste, aber die Augen waren noch immer gleich hart. »Komm nicht und sag, du wärst nicht gewarnt worden.« Dann drehte er sich um und ging ebenso zielbewußt zurück, wie er gekommen war.
Ich setzte mich wieder ins Auto und beobachtete weiter. Es verging eine halbe Stunde, und noch eine.
Als ein Versuch, Bewegung in die Sache zu bringen, startete ich den Wagen, fuhr demonstrativ am Tor vorbei, um zu wenden und ließ den Motor extra laut aufheulen, als ich aus der Straße bog. Direkt hinter der Kurve parkte ich aber wieder und behielt im Rückspiegel die Ausfahrt im Auge. Sie sollten nicht ungesehen an mir vorbeikommen.
Die Frau, die mir in dieser Straße begegnete, war zirka zehn Jahre jünger als ihre Vorgängerin, ihr Haar war dunkel und sie saß in einem niedrigen, silbernen Sportwagen, der an mir vorbeistrich, ohne viel Geräusch von sich zu geben. Ich sah die Frau in einem kurzen Augenblick: sie erinnerte mich an ein Gesicht. Es war in dem gleichen Sommer gewesen, vor langer Zeit, aber die Rosen waren noch nicht verblaßt, und es war die Zeit des Flieders. Dieses Mädchen war blond und ihr Name hatte einen biblischen Klang: Rebecca. Mit langem Hals und ernstem Gesicht hatte sie auf dem Stuhl neben mir gesessen, plötzlich waren wir allein im Raum und wir waren gerade achtzehn. Ohne etwas zu sagen, aber mit einem klaren Gefühl der Vorbestimmung, hatten wir uns langsam zueinander vorgebeugt und uns geküßt, lange. Draußen hatte es gerade gewittert, die Straßen waren naß und die Gärten sattgrün und üppig wie das, was mich jetzt umgab. Ich klatschte die Hand auf das Steuerrad. Die Gärten hatten es ausgelöst. Denn auch so ist die Liebe: die Erinnerungen verblassen mit den Jahren, die Wunden schließen sich, und du findest eine Art Frieden mit dir selbst; aber plötzlich werden sie aufgerissen, plötzlich erlebst du dasselbe noch einmal, stärker und deutlicher, als jemals vorher. Kleine Stücke der Vergangenheit, die du immer mit dir trägst.
Aber ich hatte Erinnerungen, die frischer und schmerzhafter waren als Rebecca, und die aufzufrischen ich gerade jetzt keine Lust hatte. Die grünen Gärten waren aufdringlich, die Sonne war weißer geworden. Es dröhnte blau vom unnahbaren Himmel und ich fühlte mich mit einem Mal müde, resigniert. Es war nutzlos, hier zu sitzen und auf jemanden zu warten, der doch nicht kommen würde. Ich entschloß mich, aufzugeben. Fürs Erste. Aber wir würden noch eine Partie spielen, bevor der Tag vorüber war, das schwor ich mir.
Ich startete den Motor und ließ den Wagen den Weg zurück zur Hauptverkehrsader nach Bergen rollen. Wir trieben mit dem Strom stadteinwärts, während der Lärm um uns anstieg.
Auf dem Nygårdatang lag eine Art Klein-Manhattan und wartete auf uns; ein unansehnlicher kleiner Teil eines Baustils, den die Amerikaner schon lange hinter sich gelassen hatten. Ich fand einen freien Parkplatz auf dem Festplatz und ging das letzte Stück zur Polizeiwache zu Fuß. Dort fragte ich nach Hamre.
34
Hamre wirkte irritiert und gestreßt und machte mich darauf aufmerksam, daß er äußerst viel zu tun habe. Er hatte schmale Furchen von den Nasenflügeln abwärts und die Lippen spannten sich über den zusammengebissenen Zähnen. Auf seinem Schreibtisch lagen Berge von Akten und aus dem Papierstapel stach das eine oder andere Foto heraus.
»Dir ist klar, welcher Tag heute ist?« fragte ich.
»… und ich habe erst recht keine Zeit, Rätsel zu raten!« voll
endete er einen Satz, den er nie begonnen hatte.
»Das ist kein Rätsel. Es steht auf dem Kalender«,
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