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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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hinunter, als wäre er eine Katzenleiche.
»Was ist denn los?« ertönte eine dunkle, volle Stimme hinter ihr.
Ich sah an ihr vorbei in eine grauweiße Halle mit Wänden aus Naturstein und weißem Kalk in den Fugen. Ein Mann war von hinten neben sie getreten.
Es war ein junger Mann, jünger als ich. Er war groß und gut gebaut, hatte kurzgeschnittenes, blondes Haar und eine Gesichtsfarbe, die auf reichliche Betätigung im Freien schließen ließ. Die Haut war sonnenverbrannt und die Zähne stark und weiß. Die Augen waren blau und durchsichtig, wie äußerst feines Porzellan, aber das war das Einzige an ihm, was zerbrechlich wirkte. Er sah aus, als bestünde er aus wohltrainierten Muskeln und starkem Willen und ich zog den Fuß vorsichtig wieder an mich, damit er ihn mir nicht wegnehmen konnte.
»Wer sind Sie?« fragte er. »Womit kann ich Ihnen dienen?« Er sprach Ostnorwegisch, auf die ausdruckslose Art, die die Kinder besserer Leute aus dem Osloer Westend kennzeichnete.
Ich hielt mich an die Bergenser Variante derselben Sprache, gebildet, wohlartikuliert und schnarrend mit einem nicht geringen Anstrich von Aristokratie. »Guten Tag. Mein Name ist Veum und ich würde gern ein paar Worte mit Hagbart Helle wechseln.«
»Und worum handelt es sich?«
»Entschuldigung, wie war doch gleich Ihr Name?«
Er sah mich leicht befremdet an. »Mein Name ist Carsten Wiig und ich bin Helles Privatsekretär. Sie können ohne Skrupel mit mir reden. Aber Sie kommen wohl von der Presse, kann ich mir denken.«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich in einem Tonfall, als hätte ich nie im Leben meine Finger mit Druckerschwärze beschmutzt. »Ich bin freier Unternehmer.« Das war an und für sich eine korrekte Bezeichnung, obwohl mein Steuerbescheid mir wohl kaum einen besonderen Kredit eingebracht hätte, weder bei Wiig, noch bei anderen Interessenten.
»So«, sagte er und betrachtete mich abwartend, unter müden Lidern hervor. Er war gut gekleidet, in schneeweißem Hemd, das die kupferbraune Gesichtsfarbe unterstrich, mit einem leichten, graukarierten, zierlich gebundenen Halstuch aus Seide im Halsausschnitt, in blauem Blazer und einer grauen, gutgebügelten Hose und schwarzen Schuhen, die so blank geputzt waren, daß du den Widerschein seines Hemdes darin sehen konntest.
»Es geht um eine Fabrik, die Hagbart Helle einmal betrieben hat, hier in der Stadt. Die Pfau-Fabrik. Farben.«
Sein Gesichtsausdruck war unbeweglich. »Aha?«
»Ich benötige in der Angelegenheit ein paar Auskünfte.«
»Ich fürchte, Hagbart Helle beschäftigt sich nicht mehr mit Dingen, die so lange Zeit zurückliegen.«
Ich fuhr unverdrossen fort: »Aber ich bin sicher, daß es ihn interessieren würde, zu hören – daß es ihn persönlich interessieren würde, zu …«
Er unterbrach mich in einem etwas lauteren Ton und mit nur leicht erhöhter Stimmstärke: »Ich fürchte, ich kann Hagbart Helle auf gar keinen Fall mit Sachen belästigen, die so lange Zeit zurückliegen. Ich kann ihnen versichern: Hagbart Helle ist heute aus ausnahmslos privaten Gründen in der Stadt. Dieser lag ist einer der äußerst wenigen Ferientage, die er sich im Laufe des Jahres gönnt, und es wird mir tatsächlich vollkommen unmöglich sein, Ihren Besuch ihm gegenüber auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Ist das klar?«
»Nein.«
»Nein? Was meinen Sie mit – nein?« Sein Gesicht bekam eine noch frischere Farbe. Er war jetzt vorn in die Türöffnung getreten, wie um mich zu hindern, vorbeizustürmen. Das Mädchen war weg.
Ich sagte mild: » Nein gehört tatsächlich zu den Worten, deren Bedeutung zu verstehen die meisten Menschen in sehr jungen Jahren lernen. Es ist möglich, daß ihr, die ihr am Holmenkollenåsen aufwachst, nicht gewohnt seid, ihm in freier Wildbahn zu begegnen, aber hier, in unserem Teil des Landes, verbinden wir es praktisch mit einer Form von Verneinung. – Nein: das bedeutet … Ist das klar? Nein, das ist nicht klar. Ich würde nach wie vor äußerst gern mit Hagbart Helle sprechen.«
Er beugte sich vor und wuchtete über mir, auf jeden Fall mindestens fünf Zentimeter. »Hören Sie zu, Sie, Veum, oder wie auch immer Sie heißen. Wir kommen aus einem internationalen Geschäftsleben, das ist nicht mit Sonntagsschullehrern bevölkert. Spiel mir hier nicht den Bogart, dazu hast du nicht das Rückgrat. Wenn mir danach ist, kann ich dich zusammenfalten, in einen Briefumschlag stecken und ins südliche Patagonien schicken, ohne Rücksendeadresse. Also, mach mich nicht

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