Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
mit denen wir arbeiten.«
»Dann bring es vor – bei der Abteilung. Laß es andere beurteilen. Vadheim zum Beispiel. Ihr seid vernünftige Polizisten, zum Teufel, aber Muus …«
»Wir wissen, daß du kein gutes Verhältnis zu Muus hast, Veum.«
»Und – bist du gewillt, es darauf ankommen zu lassen, auf meine Aufforderung hin?«
Es saß ruhig hinter seinem Schreibtisch und sah mich an. Ein gutgekleideter junger Mann, ein überarbeiteter Abteilungsleiter in einer Bank vielleicht, oder ein gestreßter technischer Berater in einer Werbeagentur. Im Endeffekt nichts davon. Oberwachtmeister der Kriminalpolizei, den Schreibtisch voll von ungeklärten Fällen. Leise sagte er:
»Laß es uns so sagen: Ich werde mit Vadheim konferieren und vielleicht werden wir es mit dem Kripochef besprechen. Ich sage vielleicht, Veum. Okay?«
»Fein!« Ich stand auf. Er kam um den Schreibtisch herum und begleitete mich zur Tür. Ich sagte: »Es tut mir leid, daß ich dich so viel Zeit gekostet habe.«
Er lächelte blaß. »Schon in Ordnung.«
Ich öffnete die Tür und hielt inne, fast Stirn an Stirn mit Dankert Muus. Er sah aus, als sei er aus der Unterwelt
heraufgestapft und hätte alle kleinen Teufel des Universums auf den Fersen. Als sich sein Blick auf mich heftete, wurde er kalt, wie Frostluft über öder Wildnis. Dann bewegte er sich weiter zu Hamre und wurde nicht sonderlich wärmer. Seine Stimme war hart und gepresst, als er sagte: »Hast du mit Veum über die Ermittlungen gesprochen?«
Ich drehte mich zu Hamre um, um zu sehen, wie er es aufnahm. Er sah Muus kühl an. »Ich habe mit Veum über etwas gesprochen, das vor 28 Jahren passiert ist. Hast du etwas dagegen?«
Muus sah ihn wütend an. »Ich dachte, du hättest Besseres zu tun.«
Dann drehte er sich um und polterte weiter durch den Korridor. »Lahmer Bulle!« fauchte er, daß sowohl Hamre als auch ich es hörten.
Hamre wurde noch bleicher und der Mund wurde zu einem schmalen Bleistiftstrich in seinem Gesicht. Dann nickte er mir verkrampft zu und schloß die Tür.
Am Ende des Korridors knallte hart eine andere Tür zu. Einen Augenblick befand ich mich völlig allein. In einem Büro irgendwo in der Nähe wurde unbeholfen auf einer Schreibmaschine getippt, der zögernde Liebesbrief eines Anwärters in diesem Fach? Ich machte mich auf den Weg nach draußen.
35
In der Tür empfing mich die Nachmittagssonne, mild und warm. Ich blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Vor mir lagen das alte und das neue Rathaus; das alte mit seinem spitzen Giebel, wie ein Liliputanerhaus zwischen der Post und allen Bankgebäuden; das neue mit seiner unschönen Betonfassade, eine deplazierte Jakobsleiter, die nirgendwo hinführte, ein babylonischer Turm für Nebelgerede und Bürokratie. In dreizehn Etagen erhob es sich über die Stadt, als sei es von Bedeutung, aber das war eine Behauptung, an der die meisten zweifeln würden. Schön war es jedenfalls nicht.
Ich zog durch das Zentrum und hinaus in Richtung Nordnes. Entlang der Allee vom Kloster an bergauf begannen die Bäume, gelb zu werden. Einige wenige Blätter waren schon abgefallen und hatten sich an den Asphalt geklebt wie allzu eifrige Todesküsse des Sommers.
Ich ging an Frederiksberg vorbei hinaus zum Nordnespark, am Seebad vorbei und weit hinaus auf die Landspitze. Die Luft war kühler und die Sonne stand niedriger. Noch immer hing sie verhältnismäßig hoch am Himmel, aber der weiße Dunst, der von unten heraufstieg, versprach kürzere Tage und niedrigere Temperaturen. Ich umrundete die Spitze und bog wieder zurück zur Stadt. Hier, am Ende des Nordnesparks, hinter den Depotbaracken und unten am Wasser, lagen die alten Speicher. Noch immer stieg der unverkennbare Geruch von Trockenfisch zu mir herauf, obwohl es viele Jahre her war, daß die großen Ladungen Trockenfisch hier angelandet worden waren.
Und hier, unten auf dem Platz hinter den Häusern, war an einem kalten Wintertag im Januar 1971 ein Mann ums Leben gekommen. Ich trat an das Geländer und sah hinunter. Ein Lastwagen stand dort geparkt. Das Tor war offen, aber es hing eine solide Kette mit Hängeschloß davor, so daß es abends abgeschlossen werden konnte. War es 1971 auch schon dagewesen? Hatte jemand den Schlüssel gehabt?
Ich versuchte, mir die Szene vorzustellen: den Mann, der geschlagen und getreten wurde, bis er starb, zusammengekrümmt und blutend auf dem hartgetrampelten, schmutzigen Schnee. Den Mann, der später als Harald Wulff benannt worden war. Ein
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