Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
antwortete
ich.
Er setzte sich schwer hinter den Schreibtisch, strich sich mit
hastiger Hand durch das Haar und starrte mich an. Ich sagte:
»Okay. Es ist der 1. September. Hagbart Helle ist heute in der
Stadt. Der Tag ist heute.«
Er sah plötzlich noch müder aus. »Also, die Geschichte wieder. Tut mir leid, Veum. Wir haben keine neuen Spuren gefunden – und es ist nichts in den Akten, was uns den geringsten Anlaß gäbe, einen Mann wie Hagbart Helle zu stören. Glaub nicht, daß uns das nicht ärgert. Ich wünsche mir nichts mehr, als diesen Fall aufgeklärt zu sehen.« Leise setzte er hinzu: »Schon um vor weiteren Besuchen von dir verschont zu werden.« Lauter sagte er: »Du siehst ja, wie’s hier aussieht. Die Fälle häufen sich, und wir haben ganz einfach nicht die Kapazität, alle so gründlich zu behandeln, wie wir gerne würden. Und mitten in alldem müssen wir nun ran und auf Fragen zur Gewalttätigkeit der Polizei antworten. Als ob überhaupt jemand daran zweifelte, daß es die gibt.« Er sah mich anklagend an. »Aber nicht rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Nicht jeden Tag. Wir haben andere Dinge zu erledigen, als im Fahrstuhl rauf und runter zu fahren und versoffene Randalierer grün und blau zu schlagen. Ob du’s glaubst, oder nicht.«
»Ich hab euch nicht beschuldigt.«
»Nein, du nicht. Wenn du hier angestellt wärst, dann stündest du ja selbst in der Statistik. Die Geschichte kennen wir ja alle. Aber gerade deshalb kennst du auch die Kehrseite der Medaille. Wir begegnen schließlich auch nicht gerade wenig Gewalt, die wir dieses unerfreuliche Geschäft zu unserem Broterwerb gewählt haben.«
»Gut, gut. Laß uns das Thema wechseln, wo du doch soviel zu tun hast. Was ist mit Hjalmar Nymark?«
»Ich hab es dir schon mal gesagt. Der Unfall war eine häßliche Sache, aber er war nicht Schuld an seinem Tod. Jedenfalls höchstens indirekt, und das würde vor Gericht nie ausreichen. Du bist der einzige, der behauptet, daß hinter seinem Tod was Kriminelles steckt, und wir haben nicht eine einzige Spur gefunden, die darauf hindeutet, daß du Recht hast.«
»Und was ist mit dem Todesfall gestern abend?«
»Was? Welcher?« Er sah aufrichtig erstaunt aus.
»Diese Frau, Olga Sørensen, die ich tot in ihrer Wohnung draußen in Sandviken gefunden habe.«
»Ach so. Sie fiel um, im Suff, und verletzte sich, wie es aussieht. Reiner Unglücksfall.«
»Ja, natürlich«, sagte ich säuerlich. »Die reinen Unglücksfälle scheinen sich zu häufen in dieser Geschichte. Erinnert dich das nicht an was? – Olga Sørensen war die Freundin von StauerJohan, der 1971 verschwand, damals, als Harald Wulff angeblich getötet wurde. Und Harald Wulff ist das Bindeglied zwischen all diesen Verbrechen, vom Krieg, über den Brand im Fjøsangervei bis zu dem, was dieses Jahr mit Hjalmar Nymark passiert ist.«
»Aber Harald Wulff ist doch tot! Herrgottnochmal, Mann!«
»Ich fange an, mich das zu fragen. Für mich sieht es aus, als ginge er noch um. Was ist, wenn – was ist, wenn nicht er 1971 getötet wurde, sondern sie an seiner Stelle Stauer-Johan abserviert haben?«
»Na gut, daran hab ich ja auch schon gedacht. Aber wo ist er in dem Fall denn abgeblieben? Niemand hat seit damals etwas von Stauer-Johan gehört, aber auch nicht von Harald Wulff. Es gab nur eine Leiche, aber zwei sind verschwunden. Kannst du mir das bitte erklären, Veum?«
»Nein.« Nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: »Noch nicht. Aber hör zu! Ich habe mit ›Brandstelle‹ gesprochen, Olai Osvold, dem einzigen Überlebenden von Pfau. Du hattest doch eine Skizze von der Fabrik, oder?«
Er sah verzweifelt um sich. »Irgendwo, ganz unten im Stapel.« Er zögerte einen Augenblick. Dann stand er auf. Ich wußte es und hatte es immer gewußt: Jacob E. Hamre war ein fähiger Polizist und er ließ keine Frage unbeantwortet stehen.
Er hatte einen Stapel bis ganz unten durchblättert, einen weiteren auch und dann noch einen. Schließlich stieß er auf die richtige Akte. Er fischte sie heraus und ein paar andere landeten auf dem Boden. Ich beugte mich hinunter und hob sie für ihn auf, während er die, die er in der Hand hatte aufschlug. Nach einem Moment des Suchens zog er eine Blaupause der Planskizze der Pfau-Fabrik hervor. Er gab sie mir und ich beugte mich eifrig über das große, ausgebreitete Papier. Ich fand die Produktionshalle schnell. Der Ausgang führte durch ein Treppenhaus und vom Treppenhaus gab es nur einen Ausgang. Mit anderen Worten: wenn
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