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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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an, ja, Veum?«
Ich sah ihm starr in die Augen. »Ich habe genug über Helle, um ihn bei der Polizei anzuzeigen.«
»Ach ja? Da, wo wir herkommen, kaufen wir Polizisten im Supermarkt.«
»Nicht in Bergen.«
»Ach nein? Ich hab was anderes gehört. Außerdem kenne ich Helles Vergangenheit gut genug, um zu wissen, daß es da nicht ein Staubkorn von etwas gibt, was in der ganzen Welt auch nur einer herausfinden kann. Glaubst du, er würde sonst jedes Jahr hierherkommen? – Und nun sind die Höflichkeitsfloskeln definitiv vorbei, Veum. Vielen Dank für das Gespräch. Wiedersehn.« Er legte eine breite Hand auf meine Brust und schob mich hart zurück.
Ich taumelte von der Treppe und wäre um ein Haar gefallen. Als ich die Balance wiedergewonnen hatte, hatte er die Tür hinter sich geschlossen und stand breitbeinig auf der Treppenstufe vor der Eingangstür, die Arme frei an den Seiten baumelnd und die Fäuste leicht geballt.
Ich hätte selbstverständlich versuchen können, an ihm vorbeizugehen. Ich hätte auch versuchen können, einen Zementmischer zu verführen. Das Resultat wäre dasselbe gewesen.
»Ich komme wieder«, versprach ich ihm, machte auf dem Absatz kehrt und ging den Schotterweg hinunter, ohne mich umzusehen. »Tell them, Zorro is coming!«
»Dann vergiß deinen Zwillingsbruder nicht – und den Onkel aus Amerika«, knurrte er mir nach. »Und vergiß nicht Polizeimeister Bastian.«
Ich war mal als witziger Hund bekannt gewesen. Jetzt fühlte ich mich immer häufiger wie ein geprügelter Köter. Vorsicht, bissiger Hund! stand am Tor. Jetzt verstand ich, wen sie meinten.
33
    Ich setzte mich in den Wagen. Von dort aus starrte ich auf das schwarze, schmiedeeiserne Tor. Nach einer Weile stieg ich aus und stand gegen die Kühlerhaube gelehnt da. Ich war rastlos und nichts geschah.
    Solche abgelegenen Villenviertel haben ihre eigene Atmosphäre.
Einerseits ist etwas Anziehendes an ihnen: große, grüne Gärten, die daliegen und still vor sich hin atmen; Häuser mit vielen Räumen und weichen Teppichen; Balkontüren, halb geöffnet für den Duft von Äpfeln und Herbstrosen und die Töne aller Vögel des Himmels. Du befindest dich in einer Oase, unendlich weit weg von den Anstrengungen und der Hetze des Alltags.
Andererseits ist es genau das: irgendwie scheint es, als läge die ganze Gegend in Watte gepackt. Den Verkehr hörst du nur von weit her, keine Dampfhämmer, die gegen widerspenstige Schiffskörper schlagen und keine giftigen Farbdünste, die deine Nasenlöcher reizen. Einmal im Laufe des Tages kommt vielleicht ein grüngekleideter Postbote an deinem Tor vorbei. Zweimal in der Woche kommt ein großes, graues Müllauto und leert deine Abfalleimer, aber sie kommen normalerweise so früh, daß du noch nicht einmal aufgestanden bist. Andere Werktätige siehst du selten. Der einzige Krach kommt von deinem Pudel, wenn er eine umherstreifende Katze entdeckt hat, aber das ist schnell vorbei.
Es war also kein Wunder, daß sie in dieser Straße Privatdetektive nicht mochten. Eine Frau kam aus einem Tor etwas weiter oben an dem kurzen Wegstück. In dem Augenblick, als sie heraustrat, die kurze, graue Pelzjacke in der gleichen Farbe wie der langhaarige, kleine Hund, den sie an der Leine führte, sah ich, daß sie mich entdeckte. Sie ging los, aber mit behutsamen Schritten, als bewege sie sich auf brüchigem Eis. Die Beine waren schön, der Rock schwarz. Als sie näher kam, schätzte ich sie auf irgendwo in den Vierzigern, blond und schön und ohne sichtbaren Makel. Sie paßte zu den wohlfrisierten Rasenflächen und den regelmäßigen Hecken. Aber nun hatte sie mich längst aus dem Blick verloren. Ich war in der Luft verschwunden und mit mir der Mini und alles andere. Wie ein Geist aus Tausend und eine Nacht war ich verflogen, direkt vor ihren Augen. Ihr Blick war starr und wasserklar, als sie vorbeiging. Ich räusperte mich leise und ein Muskel an der Seite ihres Halses straffte sich, aber sie ging an mir vorbei weiter.
Vielleicht hätte ich ihr nachpfeifen sollen. Aber ich tat es nicht. Ich fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden.
Ich ging wieder ein Stück die Straße hinauf, kam an dem Tor vorbei und sah zum Haus hinauf. Es lag noch immer ebenso still und zurückgezogen da, und nichts deutete darauf hin, daß jemand die Absicht hatte, herauszukommen.
Ich ging zurück zum Wagen, setzte mich auf den Vordersitz und kurbelte das Fenster herunter. Im September ist das Licht wie im April, aber irgendetwas ist doch

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