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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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anders. Im April sickert es klar und weiß durch nackte Baumkronen und die Menschen wenden die Gesichter nach oben und schnuppern nach dem Sommer, mit frohen, optimistischen Augen. Im September hat das Licht einen traurigen Goldton und es schwebt schwer durch die Baumkronen herab, in denen die Blätter schon den ersten Schimmer von Herbst tragen. Der September ist wie ein reicher Mann mit viel Geld in den Taschen, der nichts anderes als Alter und Tod vor sich sieht. Auf die Visitenkarte des Septembers hat jemand mit durchsichtiger Tinte Wehmut geschrieben.
September, das ist der Duft bleichroter Rosen. An einem Spätsommerabend vor unendlich vielen Jahren hatte ich mit einem gleichaltrigen Mädchen neben mir auf einer Gartentreppe gesessen, und in der Verzückung des Augenblicks hatte ich die fast weißen Rosenblätter über ihr dunkles Haar gestreut. Ich erinnere noch den Duft der Rosen – fast besser, als ich sie erinnere.
Die Liebe verwirrt und verwundert dich. In regelmäßigen Abständen stößt du in deinem Leben auf sie, kreist um sie, läßt dich einfangen, bis sie dich wieder wegtreibt. Und die Liebe ist es, die das Spiel dirigiert: du folgst nur kopflos und gehorchst jedem noch so geringen Zeichen. Eine Frau kommt in dein Leben, geht durch ein paar Jahre davon, wie ein lichtes Wesen durch einen dunklen Raum; und dann plötzlich ist sie verschwunden und hat die Tür hinter sich zugemacht, während du zurückbleibst, im Dunkeln.
An einem frühen Vormittag im September in einem niedrigen Auto zu sitzen, kann dir die wunderlichsten Assoziationen verschaffen. Es gab keinen Grund dafür, gerade jetzt dazusitzen und über so etwas nachzudenken. Ich hatte eigentlich Wichtigeres zu tun.
In dem Haus, vor dem ich geparkt hatte, befand sich Hagbart Helle. Auf die eine oder andere Weise mußte ich dort hineinkommen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, wußte aber jedenfalls, wo ich anfangen wollte.
Die Frage war nur, ob ich überhaupt die Chance bekommen würde. Es tat sich etwas. Hinter dem Tor dort war der junge Carsten Wiig aufgetaucht. Fr stand da lässig und blinzelte in meine Richtung, als glaubte er, nicht richtig zu sehen. Die Sonne glitzerte in seinem blonden Haar, schimmerte in seinem weißen Hemd. Als er durch das Tor trat, geschah das mit zielbewußten, langen Schritten. Ich kurbelte das Fenster ein Stück hoch.
Wenn du in einem Morris Mini sitzt und jemand kommt, um ein ernstes Wort mit dir zu reden, kann es angebracht sein, sitzenzubleiben. Der Wagen reicht dem, der davorsteht, nicht höher als zur Gürtellinie, der Betreffende muß sich herunterbeugen, um mit dem, der drinnen sitzt, Kontakt zu bekommen, und es bedarf nur einer Geringfügigkeit, daß er sich in dieser Haltung ziemlich dämlich vorkommt. Carsten Wiig wurde mir jedenfalls nicht wohlgesinnter dadurch. »Weshalb zum Teufel sitzt du hier?« kläffte er mich an, über die halb aufgekurbelte Scheibe.
Ich nahm mir Zeit, zuckte demonstrativ mit den Schultern und sah mich träge um. »Die Aussicht ist gar nicht so schlecht, für jemand, der langsame, italienische Filme mag. Der hier könnte von Antonioni sein, aus den frühen 60er Jahren.«
»Von wem?« Er hatte sicher kaum von anderen als John Wayne gehört.
»Einem Typ, der Filme gemacht hat, die hauptsächlich aus Pausen bestanden. Aber schönen Pausen, ohne Frage. Solchen wie dieser Straße.«
»Hören Sie zu, wie Sie auch hießen …«
»Veum war mein Name.«
»Sie, Veum – entweder Sie verschwinden augenblicklich, oder ich rufe die Polizei.«
»Augenblicklich? Rufen Sie die Polizei?«
»Ja.«
»Das könnte interessant werden. Dann könnten wir ja mit der ganzen Gang zu Hagbart Helle reingehen und alle miteinander reden.«
Sein Gesicht verhärtete sich. »Wenn Sie nicht … Dann haben wir andere Methoden.«
Ich schenkte ihm eins meiner leichten Lächeln, flüchtig wie fröhliche Finanzbeamte. »Was du nicht sagst! Könntest du ein paar davon für mich aufmalen?«
Er beugte sich vor und versuchte, die Tür zu öffnen. Ich öffnete sie hart und traf ihn an den Knien. Er verlor das Gleichgewicht. Ich sprang auf die Straße, schlug die Autotür hinter mir zu und stand direkt vor ihm.
Wir standen da und starrten einander an. Er war rot im Gesicht. Seine Fäuste waren geballt.
»Was zögerst du noch?« fragte ich. »Kannst du nicht malen?«
Er entblößte die Zähne, doch ohne zu lächeln. »Wenn es mir nicht darum ginge, Helle um keinen Preis

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