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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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ist zu bekümmert um mich, und Sie könnten den Eindruck gewinnen, dass ich etwas zu verbergen habe. Dem ist jedoch nicht so.« Er leerte sein Glas und bestellte noch eines. Seine mageren Wangen waren unrasiert, das dunkelblonde Haar hatte der Sturzhelm plattgedrückt. Immer wieder fasste er mit zwei Fingern nach dem Ring an seinem Ohrläppchen.
    »Jeder hat etwas zu verbergen.«
    »Da sehen Sie’s. Sie haben bereits eine Meinung über mich gefasst. Aber ich will Ihnen zuvorkommen, Commissario. Es stimmt, der Tod meines Vaters ist für mich eine unendliche Befreiung.«
    Laurenti nahm jede Geste des Vierzigjährigen wahr, in dessen Stirn vier tiefe senkrechte Falten verliefen. Nikolas Spechtenhausers Handbewegungen waren fahrig, die Nägel beider Daumen und Zeigefinger fast bis zur Mitte abgenagt, die anderen Finger hingegen gepflegt. Seine Stimme aber war fest und melodisch, sein Italienisch akzentfrei.
    »Seine Existenz hat wie ein Stein auf meiner Brust gelegen, ich habe kaum atmen können. Er war ein gewalttätiges und brutales Arschloch, das mein Leben verpfuscht hat. Und auch das von vielen anderen. Wie sollte man nicht darüber froh sein, wenn ein solcher Spuk endlich verschwindet? Nur, ich habe es nicht getan, Commissario. Ein Alibi für den Zeitpunkt seines Todes kann ich nicht vorlegen, dafür für die Tage zuvor und die Stunden danach. Ich habe nicht einmal gewusst, dass er nach Meran kommen wollte. Meine Mutter hat es mir vorsichtshalber immer vorenthalten, wenn er auftauchte. Und nie hat sie ihn bei uns zu Hause empfangen, sondern im Büro in der Via Ottone Huber.« In einem Zug stürzte Nick auch das zweite Glas hinunter. »Und weder kann ich mit Sprengstoff hantieren, noch wüsste ich, wo ich mir den besorgen sollte. Aber ich gebe zu, seinen Tod habe ich mir seit zwanzig Jahren gewünscht. Und darauf trinke ich mit großem Vergnügen.«
    »Und nun fühlen Sie sich frei?« Laurentis Blick war herausfordernd. »Frei genug, mir hinterherzufahren und mich anzuhalten. Wissen Sie denn, wer es getan hat?«
    Nick verschluckte sich, hustete, dann lachte er auf. »Nein, damit kann ich leider nicht dienen. Das müssen Sie selbst herausfinden.«
    »Wussten Sie von dem Goldtransport?«
    Nick lachte wieder. »Geschäfte interessieren mich nicht. Die sind die Angelegenheit von Donna Rita und meinen reizenden blonden Schwesterchen. Bei diesen Hexen würde ich an Ihrer Stelle nachhaken.«
    Auch Nikolaus gehörte also zu jenen, die stets besser wussten, was andere zu tun hatten.
    »Hatten Sie zu den beiden regelmäßigen Kontakt?«, fragte Laurenti.
    »Kein Interesse. Die sind so falsch wie ihr Lächeln und ziehen einem charmant das Fell über den Kopf.«
    »Aber erfolgreich, im Gegensatz zu Ihnen.«
    »Welchen Erfolg brauche ich denn, Commissario? Man hat mich seelisch kaputtgemacht und dafür so mit Geld vollgestopft, dass ich bescheuert wäre, einen Finger zu rühren. Eine tolle Familie ist das, in der man niemandem beweisen muss, dass man etwas kann. Selbst wenn es nur eine Kleinigkeit wäre, die einen besonders macht.«
    »Man hat mir gesagt, dass Sie ein begabter Künstler und Musiker sind.«
    »Da haben wir’s wieder: Man hat Ihnen gesagt … Immer die anderen, die das Urteil fällen.« Nick winkte aufgeregt nach der Bedienung. »Wenn ich wirklich gut wäre, hätte ich mich doch längst entfernt. Der Alte wollte nie etwas von meiner Begabung wissen.«
    »Ihr Vater war auch außerordentlich erfolgreich. Ein konsequenter Politiker und Geschäftsmann.«
    »Konsequent sein ist eine Eigenschaft für Arschlöcher. Ich erkläre es Ihnen gerne, Commissario: Er hatte verordnet, dass ich Jura studieren sollte, was ich natürlich nicht geschafft habe. Dafür erzählte ich zu Hause immer von irgendwelchen Fortschritten, die ich nie machte. Aber selbst das interessierte niemand. Wen wundert’s? Seine politische Karriere konnte mein Vater dank des Reichtums meines Großvaters finanzieren. Als Senator hat er Reden über Pflicht, Ordnung und Heimattreue geschwungen, von deutscher Kultur und dem Recht auf eine eigenständige Identität, die er mir nie gelassen hat. Und dann hat er sich von einem Tag auf den anderen mit dieser Italienerin aus Triest zusammengetan und italienische Zwillinge gezeugt. Und kaum als man Anfang der Neunziger seiner Rolle bei den Korruptionsskandalen auf die Spur gekommen war, hat er sich ruckzuck aus der Politik zurückgezogen, einen Kompromiss mit dem Staatsanwalt geschlossen und dafür andere ans

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