Im eigenen Schatten
doch konnte er niemanden entdecken. »Scheißwalsche.« Als das Schaf bei seinem Anblick freudig zu blöken begann, fügte er noch ein bitteres »Holt di Gosch« hinzu. Er machte das Tier vom Pflock los, um es in den Pferch zurückzuführen, und sagte: »Und du erzählst mir jetzt, wer dich hier angebunden hat.« Kaum bog er um die Hausecke, zuckte er vor Schreck zusammen.
»Carabinieri, mani in alto«, rief ein kahlköpfiger Kerl, der hinter der Brennholzmiete vorsprang und in schallendes Gelächter ausbrach. »Hast dir vor Angst in die Hosen geschissen, Toni?« Er zeigte auf den Kaffeefleck auf dem hellen Stoff.
»Hurenoschtia, Naz, du bischt echt a Sauhund.« Anton Pixner schüttelte den Kopf, doch war er viel zu erleichtert, um richtig böse zu sein. »Dein Bruder wird aufatmen, dich endlich zu sehen. Woher weißt du eigentlich, dass er hier ist?«
»Mutter hat mir gesagt, dass du Klamotten für ihn besorgt hast. Es wimmelt übrigens von Polizeistreifen. Schon um diese Zeit. Wo ist Jo?«
»Zuerst sperr ich das Schaf wieder in den Pferch, dann holen wir ihn aus seinem Versteck. Komm mit und halt mir das Gatter auf. Und dann will ich deine Version hören. Jos Gesicht ging durch alle Medien, er ist berühmter als Obama und Andreas Hofer zusammen.«
»Ich hab’s auch gesehen. Nur weil er den Ausweis verloren hat.«
»Nicht jeder raubt davor einen Goldtransport aus.«
»Gott behüte.«
»Und wie bist du überhaupt hergekommen?« Anton Pixner schubste das Schaf in den Pferch, hängte das Gatter wieder ein und musterte den älteren der beiden Brüder zum ersten Mal von Kopf bis Fuß. »Und du meinst auch noch, dass ein strammer Bursche wie du, der um diese Zeit im Nieselregen mit Wanderzeug und einem Holzstock durch die Gegend zieht, kein Aufsehen erregt?«
»Ich bin am Freitag von Ljubljana nach Zürich geflogen, von dort mit dem Zug nach Davos gefahren und dann mit der Engadin-Linie weiter bis Meran.«
»Seit wann gibt’s da eine Zugverbindung?«
»Eben. Das letzte Stück hat ewig gedauert, viereinhalb Stunden, vier Mal umsteigen, am Schluss mit dem Bus. Aber die Strecke war sicher, es gab keine Kontrollen. Die Nachrichten haben die ersten Meldungen gebracht, von Jos Ausweis war noch keine Rede. Ich habe bei den Eltern zu Abend gegessen und gestern bin ich dann zur Hütte bei Saltaus, wo ich den Rest der Nacht verbracht habe. Es war niemand dort. Jetzt habe ich einen Mordsappetit, Toni, und du fragst mir auch noch Löcher in den Bauch.«
»Ihr seid vielleicht zwei Burschen. Jetzt holen wir erst einmal Johann aus dem Versteck. Außerdem ist es besser, wenn auch du es kennst.«
Jo verpasste seinem Bruder eine blitzschnelle Gerade in den Magen, als der die falsche Wand zur Seite schob, um ihn aus der Kammer zu befreien. Doch obwohl Naz sich krümmte, erwischte er Jo noch knapp mit einem harten Uppercut. Beide ließen sich auf den Holzboden fallen und brachen nach wenigen Sekunden in schallendes Gelächter aus.
»Ihr seid und bleibt Kindsköpfe.« Der Cousin stand kopfschüttelnd neben ihnen. »Bis ihr wieder bei Besinnung seid, gehe ich lieber die Hose wechseln. Besser wenn ich den Kaffeefleck einweiche vor der Wäsche. Und wenn ihr euch ausgetobt habt, dann kommt zum Frühstück in die Küche.«
Anton hatte eine deftige Brotzeit aufgetischt. Der Duft von Rührei mit Kartoffeln und Speck, über die er feingehackte Petersilie aus dem Garten gestreut hatte, lockte die beiden stiernackigen Glatzköpfe an. Eine Kanne frisch gebrühten Kaffees stand auf dem Tisch, Kaminwurzen, hartgeräucherte Würste, Speck, Essiggurken, Kren, ein Laib Sauerteigbrot, der rasch kleiner wurde. Nachdem noch keine Stunde vergangen war, servierte Toni die erste Runde Bier. Die beiden Taugenichtse klopften Sprüche und protzten mit ihren Heldentaten, bei denen sie einen Haufen Geld gestohlen hatten, von dem ihnen nie etwas geblieben war. Sie prahlten damit, wie sie einmal den Leiter einer Bankfiliale in Tramin dazu gezwungen hatten, Strumpfhalter und Negligé seiner Frau anzuziehen, und sie wiederum Schlips und Unterhosen ihres Mannes, bevor sie die Kombination des Safes aus ihnen herausprügelten.
»Aber vergewaltigt haben wir nie eine«, rief Ignaz.
»Auch wenn diese Puttane nichts mehr erhofften als das.« Johann hieb voller Genuss auf den Tisch.
Der Mareienhof war in graue Regenwolken gehüllt, und gegen Mittag schaltete Anton Pixner das Licht in der Küche an.
»Wenn das so weitergeht, muss ich ein paar Scheite in den
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