Im Fadenkreuz der Angst
Sie mir helfen wollen, aber das geht nicht. Prügeleien auf dem Schulgelände sind streng verboten. Wenn ich das melde, werde ich auch bestraft. Mein Vater würde mich umbringen.«
Mr Bernstein hebt eine Hand. »Das gilt aber nicht, wenn man angegriffen wird.«
»Wer sagt denn, dass ich angegriffen wurde? Siehaben es nicht gesehen, Sir. Sie vermuten es. Also steht mein Wort gegen das von sechs Sport-Cracks. Können Sie sich vorstellen, dass Mr McGregor ein Viertel der Footballmannschaft nachsitzen lässt, mitten in der Saison? Vor allem, wenn die alle solche Eltern haben wie Eddy?«
Mr Bernstein blickt mir tief in die Augen. »Sami, wenn Sie nichts sagen, kann die Schule nichts machen und ich kann Ihnen auch nicht helfen. Aber wenn Sie was sagen, dann werden Harrison und die anderen zumindest einen Vermerk in ihren Schülerbögen haben.«
»Und was habe ich davon? Wenn ich mit dem Rad nach Hause fahre? Oder ins Einkaufszentrum gehe? Wenn ich alleine bin, egal wo? Dann kriege ich richtig was auf die Mütze. Und wo werden Sie dann sein, Sir?
Seine Augen werden dunkel. »Das Leben kann sehr hart sein, Sami. Aber wenn man sich versteckt, wird alles nur schlimmer. Und vor sich selbst können Sie sich nicht verstecken, egal, wie viel Mühe Sie sich geben. Das können Sie mir glauben.« Er steigt in sein Auto. »Wir sehen uns im Unterricht.« Und weg ist er.
Ich schiebe mein Rad den Hügel rauf und schließe es neben der Schule an. Ich überlege, aufs Klo zu gehen. Ich könnte die Schramme auf meiner Hand säubern, gucken, ob ich blaue Flecken auf der Brust habe, und einmal tief durchatmen. Aber auf dem Klo könnten mich Eddy und sein Trupp erwischen und vollenden, was sie begonnen haben.
Ich treffe Mitchell, der neben unseren Schränken sitzt und lernt. Seine Lippen bewegen sich hektisch.
»Hallo, Mitchell.«
Mitchell schiebt sich die Haare aus dem Gesicht. »Wow. Was ist denn mit dir passiert?«
»Eddy. Kannst du bitte die Augen aufhalten und mir Bescheid sagen, wenn Eddy kommt?«
Mitchell windet sich. »Ich habe einen Mathetest.«
»Na und? Bist du mein Freund oder nicht?«
»Okay, okay.«
Er stellt sich ganz weit weg an den Trinkbrunnen und ich gehe aufs Klo. Als ich rauskomme, ist er weg.
Gleich nach dem Abspielen der Nationalhymne werde ich ins Sekretariat gerufen. Der Konrektor lässt mich zwei Stunden auf der Bank vor der Anmeldung warten. Aber nicht etwa, weil er viel zu tun hätte. Alle zwanzig Minuten oder so kommt er aus seinem Heiligtum geschlendert und plaudert mit der Sekretärin. Ich vermute, dass er sich wichtig fühlt, wenn er mich warten lässt. In der ersten Pause kommt Eddy am Sekretariat vorbeigeschlendert und wirft mir durch das Fenster zum Flur einen höhnischen Blick zu. Ich komme mir vor wie ein Guppy im Haifischbecken. Endlich, lange nachdem der Unterricht wieder angefangen hat, sagt die Sekretärin: »Der Konrektor will dich jetzt sehen.« Toll. Als hätte er mich nicht schon den ganzen Morgen über gesehen.
Ich betrete sein Büro. Mr McGregor hat die Jacke ausgezogen, sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Das sieht irre aus. McGregor hat dickere Brüste als Marty. Er deutet mit dem Kopf auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Ichsetze mich. Er blickt durch mich hindurch, als würde er fernsehen ohne Ton. Ich klemme die Füße hinter die Stuhlbeine und versuche, nicht auf die rote Wolle zu gucken, die sich zwischen den Hemdsknöpfen über McGregors Bauch durchschiebt.
»Wir hatten am freitagnachmittag eine Verabredung«, sagt Mr McGregor schließlich.
»Hab ich vergessen.«
»Haben Sie vergessen.« Mr McGregor lässt die Worte auf sich einwirken. »Sie wurden aus dem Unterricht gerufen. Und das haben Sie vergessen? Zehn Minuten später habe ich Sie persönlich von der Vordertreppe aus gerufen. Auch vergessen?«
»Sir, tut mir leid, Sir. Ich hatte eine Menge im Kopf, wirklich, ich habe Sie nicht gehört.«
Schweigen. »Respekt«, sagt Mr McGregor. »Res pekt ist das Fundament dieser Schule.« Er nimmt einen Stift in die Hand. »Ist das Fundament des Lebens.« Er klopft dreimal mit dem Stift auf seine Schreibunterlage, als wollte er den tiefen Sinn seiner Bemerkung betonen.
»Ja, Sir.«
»Eddy Harrison hat gesagt, Sie hätten ihn beschimpft. Stimmt das?«
»Das weiß ich nicht. Kann schon sein.«
»Kann sein, Sie haben ihn beschimpft? Ja?«
»Ich … Ja, kann schon sein.«
»Warum?«
»Ohne Grund.«
»Es muss einen Grund
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