Im Fadenkreuz der Angst
über ethnische Gruppen.«
»Selbst wenn es in diesen Gruppen jede Menge Terroristen gibt?«, spottet Eddy.
Sterben, ich möchte sterben.
Mr Bernstein lehnt sich an seinen Schreibtisch. »Der Holocaust war so entsetzlich, das war der größteHorror, den die Welt sich vorstellen kann«, sagt er. »Dennoch geben wir dafür den Nazis die Schuld und nicht allen Deutschen.«
»Mit allem gehörigen Respekt, Sir, das war damals. Dort. Ich meine hier. Jetzt. In Meadowvale gibt es Terroristen. Freitag wurde einer verhaftet.«
»Ein angeblicher Terrorist«, unterbricht ihn Mr Bernstein.
»Ja, klar. Wir haben Glück, dass wir noch leben. Ich finde, wir sollten die alle zusammentreiben und dahin zurückschicken, wo sie herkommen.«
Ich wirbele herum. »Ich bin hier geboren, Eddy, genau wie du.«
Mr Bernstein springt auf. »Jungs, Persönliches sollten wir außen vor lassen.«
»Wie denn?«, sage ich. »Wie denn?«
Eddy grinst schmierig. Jetzt hat er mich.
Aber Mr Bernstein kriegt die Kurve. »In unserem Land hat es bereits früher Terroristen gegeben«, sagt er mit rasiermesserscharfer Stimme. »Haben Sie schon mal vom Ku-Klux-Klan gehört? Die Klan-Leute haben Amerikaner afrikanischer Herkunft gelyncht und ihre Häuser angezündet. Sie haben auch Juden ermordet, Katholiken angegriffen, Homosexuelle und Einwanderer.« Mr Bernsteins Stimme wird höher. »An fang der Zwanzigerjahre waren fünfzehn Prozent der erwachsenen, weißen, protestantischen Männer Mitglied im Ku-Klux-Klan, auch einflussreiche Männer, sogar einige Gouverneure und Richter. Und mindestens ein Präsident hat mit dem Ku-Klux-Klan sympathisiert.« Er hält inne. »Auch heute noch organisierensich Leute, die ähnlich rassistisch sind, in gewalttätigen, illegalen Milizen. Hier! Jetzt!« Kurze Pause, dann kommt der tödliche Schlag. »Sagen Sie mir, Mr Harrison, wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Vater wie ein Terrorist behandelt werden würde, nur weil er weiß, männlich und ein Christ ist?«
Ein hässliches Grinsen rollt über Eddys Gesicht. »Soll das heißen, mein Vater ist ein Rassist, Sir? Behaupten Sie, er ist ein Nazi-Terrorist?«
»Nein«, faucht Mr Bernstein. »Ich habe gesagt, dass wir den blutigen Terrorismus weißer Rassisten verdammen, nicht aber die gesamte ethnische und religiöse Gruppe, der diese Menschen angehören.«
Mr Bernstein und Eddy starren sich in die Augen. Keiner von beiden gibt nach.
»Ich möchte, dass Sie jetzt alle eine kurze Erörterung schreiben, als Grundlage für eine Diskussion«, sagt Mr Bernstein. »Wo sollten wir die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit ziehen? Unter welchen Umständen, wenn überhaupt, sollten wir auf unsere Rechte verzichten?«
Eddy holt seinen Laptop aus der Tasche und hat damit einen Grund wegzugucken.
Mr Bernstein setzt sich hinter seinen Schreibtisch. Er schaut uns eine Weile zu, dann schlägt er einen Ordner auf und korrigiert Aufsätze.
Plötzlich ein lautes Knallen.
Ratta-tatta-ratta-tatta-ratta-tatta!!!
Wir springen auf. Jemand hat einen Streifen Kracher in den Gang geworfen.
Mr Bernstein funkelt Eddy an. »Wer war das?«
Niemand antwortet. Einige haben es nicht gesehen, wie ich. Andere haben zu viel Angst, um was zu sagen.
24
Am nächsten Morgen meldet sich Mr Bhanjee. Dad hat am Nachmittag eine Anhörung. Mom ruft in der Schule an und vereinbart, dass sie mich mittags abholt. Als sie kommt, erwartet der Konrektor sie bereits. Er führt uns beide in das Büro des Direktors.
Mr Samuels, unser Schulleiter, hat dichte schwarz glänzende Haare mit einer weißen Strähne in der Mitte. Das sieht aus, als hätte ihm jemand ein Stinktier auf den Kopf gelegt. Mr Samuels bekommt man nur auf Schulversammlungen und Abschlussfeiern zu sehen. Ansonsten sitzt er hinter verschlossenen Türen, wo er Vertreter des Elternrates oder einzelne Schüler empfängt. Oder die Sekretärin Mona James. Es geht das Gerücht um, die beiden hätten eine Affäre. »Deshalb ist sie seine
Sekret -ärin
, kapiert?«, kichern die Jungs. Dann kommt: »O M
o
na, M
o
na«, und alle biegen sich vor Lachen.
Jedenfalls überlässt Mr Samuels die tägliche Schmutzarbeit Mr McGregor. Wenn der Schulleiter uns also persönlich sprechen will, muss es wirklich wichtig sein.
»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr Samuels«, sagt Mom lahm. Er streckt ihr die Handentgegen. Mom macht einen Schritt zurück, legt die rechte Handfläche auf ihr Herz und macht eine leichte Verbeugung. »Wir werden in der
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