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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gastgeber, also halte ich den Mund und bete, dass Mom genug Luftverbesserer im Haus hat.
    Hat sie. Zumindest Räucherstäbchen. Nach dem Abendgebet, als endlich alle gegangen sind, zündet sie vier Sandelholzstäbchen an, stellt in jede Zimmerecke eines, schnappt sich eine Golfzeitschrift und vergräbt sich in der Sofaecke. Ich lasse sie allein und suche mir selber einen stillen Platz.
    Ich gehe die Treppe runter, aber mein Zimmer fühlt sich ohne Computer leer an. Seltsam ist es auch im Erkerzimmer mit den Decken vor den Fenstern. Essind immer noch Leute vor unserem Haus. Offensichtlich haben sie nicht mitbekommen, dass die Show vorbei ist und sie sich vielleicht mal wieder um ihr eigenes Leben kümmern könnten.
    Schließlich lande ich in Dads Arbeitszimmer. Das ist der einzige Raum, den Mom und ich beim Aufräumen nicht angerührt haben. Ich bin sowieso sehr selten hier drin gewesen: Das eine Mal vor ein paar Wochen, als ich in Dads Computer geguckt habe. Und dann nach der Geschichte mit Mary Louise, als Dad mit mir eine Online-Tour der neuen Schule gemacht hat. Und davor ein paarmal, als ich klein war. Es ist eben Dads Arbeitszimmer. Und da geht man nur rein, wenn man sterben möchte.
    Ich mache keine Lampe an. Das Licht der Dämmerung reicht mir.
    Dads Teppiche sind umgedreht, die Familienfotos und Dads Urkunden wurden von den Wänden gefegt. Sein Schreibtisch ist vorgerückt worden, alle Schubladen fehlen. Computer, Drucker, Scanner und Aktenablage sind auch weg. Sein Drehstuhl steht in der Ecke, der Lederbezug ist aufgeschlitzt, genau wie die Sitzkissen auf der Fensterbank.
    Ich weiß nicht warum, aber ich habe das seltsame Bedürfnis, mich unter Dads Schreibtisch zu verkriechen. Dort scheint es so geschützt und sicher zu sein wie in meinem Kabuff in der Schule. Ich krabbele unter den Tisch, ziehe an der Stelle, wo Dads Füße stehen würden, die Knie an und schlinge meine Arme drum herum. Ich stelle mir vor, über mir liegen Dads Hände auf der Tastatur. Ich stelle mir vor, wie Dad summtoder einen seiner Lieblingsverse aus dem Koran rezitiert. Dad.
    Als ich in der siebten Klasse war, fiel während eines Volleyballspiels ein Mitschüler tot um. DrewLazer. Zwölf Jahre alt und fällt einfach tot um. Sein Bruder sagt, die Mutter habe Drews Zimmer genauso gelassen, wie es an dem Tag war, an dem er starb. An der Wand hängen immer noch dieselben Poster. Das Bett ist ungemacht. Auf dem Schreibtisch liegt ein Turnschuh. Der Bruder sagt, der Raum sei kalt.
    So ähnlich erlebe ich es jetzt auch. Ich spüre eine Kälte. Eine seltsame Kälte. Als wäre Dad weg und würde nie wiederkommen. Und der Raum würde genauso bleiben wie jetzt, so wie er an dem Abend war, als er abgeholt wurde und unsere Welt sich für immer verändert hat.
    Es ist fast dunkel. Dad lächelt mich von dem kleinen gerahmten Foto an, auf dem ich etwa sechs Jahre alt bin und mich sein Bart am Kinn kitzelt. Das Foto liegt jetzt auf dem Fußboden. Es muss bei der Durchsuchung runtergefallen sein. Das Glas ist zersprungen, aber der Metallrahmen hält die Scherben zusammen.
    Ich krieche hinüber, nehme den Rahmen vorsichtig in beide Hände und trage das Bild in mein Zimmer, wo ich es auf den Nachttisch stelle.
    Ich lege meinen Kopf aufs Kissen und starre das Bild an. Wie lautet die Wahrheit, Dad? Hast du was Unrechtes getan? Und wenn nicht, warum halten sie dich dann fest? Warum sagen sie all die Sachen im Fernsehen?
    Was wird aus uns?

23
    In der Nacht habe ich Albträume.
    Ich bin in einem Bergwerk. Es ist stockdunkel. Mom und Dad sind bei mir. Eine Sprengladung ist gezündet worden. Wenn wir nicht rechtzeitig rauskommen, werden wir lebendig begraben. Wir rasen durch enge Stollen, tasten uns an den Wänden entlang. Es knallt. Geröll fliegt durch die Gegend. »Sami!« Dad liegt unter einem Haufen Steine. Ich krieche zu ihm, will ihn befreien. »Sami!« Seine Stimme ist weit weg. Je weiter ich vordringe, desto weiter entfernt sich seine Stimme. Und wo ist Mom? Noch eine Explosion. Der Boden unter mir gibt nach. Ich falle. Hilfe!
     
    »Müßiggang ist aller Laster Anfang.« Das sagt Mom am Montagmorgen zu mir.
    Ich habe keinen Hausarrest mehr, hatte aber trotzdem gehofft, ich könnte zu Hause bleiben. Ich habe Angst vor der Schule.
    »Was soll denn sein«, sagt Mom. »Nimm den Kopf hoch und mach einfach weiter.«
    Sie hat gut reden. Sie hat sich freigenommen und wartet auf eine Nachricht von Mr Bhanjee. Falls er für Dad eine Anhörung vor Gericht

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