Im Fadenkreuz der Angst
Veröffentlichung freigegeben, auf denen man die Bruderschaft beim Training sieht. Sie stehen auf einem freien Feld und machen Schießübungen. Tariq Hasan lacht und sagt, sie sollten den Premierminister von Kanada und sein Parlament ausknipsen. Und auf CNN gibt es einen Bericht von einem Reporter aus Rochester mit Bildern von Akmeds Handwerkern hinter unserem Haus, ein Interviewmit Moms Chef in der Apotheke, und dann, das ist wirklich peinlich, die Meldung: »Sabiris SohnMohammed ist Schüler der exklusiven Roosevelt-Academy für Jungen.« Was wollen sie denn damit sagen? Terroristen schicken ihre Kinder auf gute Schulen?
Ich erinnere mich, wie Dad mich dort angemeldet hat. Ich weiß noch, dass ich dachte, ich wäre im Gefängnis gelandet. Aber das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was Dad jetzt durchmacht. Wie mag es ihm gehen? Es macht mich verrückt, dass ich überhaupt gar nichts weiß.
Ich rufe Andy und Marty an. Sie gehen nicht ans Telefon und reagieren auch nicht auf meine SMS. Ich bekomme nur Anrufe von Leuten, die ihre Nummern unterdrücken lassen. Spinner. Woher haben die meine Nummer? Von jemandem in der Schule? Von Eddy? Woher kennt er die? Egal. Ich lösche alle Nachrichten, ohne sie mir anzuhören.
Andy und Marty. Warum musste ich so ausrasten? Ich möchte mit ihnen reden. Ich brauche sie. Wissen sie das nicht? Vielleicht haben sie Schiss wegen dem FBI. Oder ihre Eltern haben ihnen verboten, mit mir zu reden. Wer weiß, wessen Telefon jetzt abgehört wird?
Trotzdem, es tut weh, dass sie sich nicht rühren. Am liebsten würde ich an Andys Tür hämmern und ihn zwingen, mir zu sagen, was los ist. Aber vor unserem Haus stehen noch immer Kamerateams. Und außerdem habe ich Angst vor dem, was Andy sagen könnte. Solange ich es nicht weiß, kann ich glauben, die Stille hat nichts zu bedeuten. Aber wenn er sagt, wir sind keine Freunde mehr, dann weiß ich nicht, was ich machen soll.
Ich versuche, nicht daran zu denken. Sonnabendhelfe ich Mom beim Aufräumen. Sonntag helfe ich ihr, unsere Gäste aus der Gemeinde zu bewirten. Mom hat Tee und was zu Essen vorbereitet, aber die Frauen bringen alles selber mit. Den ganzen Nachmittag über arbeiten sie in der Küche, sodass Mom wahrscheinlich eine halbe Ewigkeit nicht mehr kochen muss.
Mich schicken sie ins Wohnzimmer zu den Männern. Die schütteln mir die Hand, umarmen und küssen mich und klopfen mir auf den Rücken. Das soll mir Kraft geben für »die schwierigen Tage, die vor dir liegen«. Da Dad im Gefängnis ist, bin ich jetzt wohl der Mann im Haus. Was immer das bedeutet. Ich spiele mit und gebe mir Mühe, möglichst entschlossen auszusehen oder jedenfalls so, wie der Mann des Hauses auszusehen hat. Und nicht wie das nervöse Wrack, das ich bin. Es wäre leichter, wenn ich einen Bart hätte.
Imam Habib sitzt im Fernsehsessel vor der mit Brettern vernagelten Verandatür. Er steht auf und hält eine kurze Rede. Seine Augen sind feucht. Ich überlege, ob er grauen Star hat wie Martys Oma. Auch seine Stimme klingt alt. Jedem Satz folgt ein kleines Röcheln, als wären seine Lungen nicht mehr so gut. Aber wichtig ist das nicht. Er ist freundlich, ohne ein Feigling zu sein, und er weiß, was zu sagen ist. Er betont, dass dies eine Zeit der Prüfung sei und dass wir aus diesem Feuer gehärtet herauskommen würden – wie Stahl; und dass der Prophet Moses vierzig Jahre in der Wildnis habe verbringen müssen, aber immer sei Gott bei ihm gewesen.
Für die meisten von uns sind die Worte des Imamströstlich. Aber Mr Ibrahim ist nicht zufrieden. Er hat nie vergessen, wie er sich in Newark hatte nackt ausziehen müssen und durchsucht wurde. »Als Timothy McVeigh in Oklahoma City das Regierungsgebäude in die Luft gejagt hat, da sind die Behörden nicht auf die Idee gekommen, blonde, blauäugige Christen zu verfolgen«, ruft er aus. »Und als die IRA in London Bomben gelegt hat, hat der Westen nicht allen Katholiken den Krieg erklärt.«
Ich lege meinen Finger auf die Lippen und deute auf die Löcher in den Wänden, Hinterlassenschaften des FBI. Vielleicht haben sie auch die eine oder andere Wanze dagelassen. Ist ja nicht unwahrscheinlich. In jedem Fall wurden alle fotografiert, die unser Haus betreten haben.
Mr Ibrahim beruhigt sich mit einer Zigarette. Die vernagelten Türen haben unser Wohnzimmer zu einer Gruft gemacht und der Qualm nervt mich. Aber wenn ich jetzt sage, Rauchen ist unrein, blamiere ich Imam Habib und erweise mich als schlechter
Weitere Kostenlose Bücher