Im fernen Tal der Hoffnung
Der Busch ist lebendig heute Nacht.«
» Schwarze?« McKenzie lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum. Jasperson legte ein besonders dickes Holzscheit für die Nacht aufs Feuer und rückte näher heran.
» Vielleicht.« Sterne flackerten durch die Bäume. Hamish fand, sie sahen aus wie Kerzen, die durch einen dunkelgrün und braun gesprenkelten Stoff schienen. Kurz vor dem Einschlafen sah er sein Land vor sich. Es verwandelte sich, um Berge und Täler zu bilden, breitete sich über felsige Klippen und Grashügel aus bis an die sandige Küste eines Landes, dessen Nation zu jung war, um wirkliches Leid zu kennen. Dies war kein Land wie Schottland, wo Krieg herrschte, wo Menschen seit Hunderten von Jahren unter dem Joch der Unterdrückung lebten. Hamish schlug die Augen auf.
Manchmal stieg ihm der würzige Duft der Highlands in die Nase, spürte er die schneidende Kälte des Sees. Manchmal fragte er sich, wie es wohl sein würde, zurückzukehren und durch den Kies an der Küste entlangzulaufen. Er stellte sich seine Mutter vor, wie sie Wasser vom See holte oder Hafer zermahlte, um kleine Kuchen im Ofen zu backen. Er sah Schmutzflecken auf ihrem lächelnden Gesicht, ihr grober Wollrock war zerrissen, und ihre Haare waren fettig. Sie war im Winter gestorben und hatte in einem Raum mit ihrer Kuh auf dem Totenbett gelegen; ihre beiden überlebenden Söhne und ein Ehemann hatten sich Sorgen wegen der Steuern gemacht. Es waren kleine, vage Erinnerungen, aber in der letzten Zeit waren sie immer wichtiger geworden.
Winter 1990
Goldküste, Queensland
Der Korridor, der zum Raum ihrer Mutter führte, war lang und beigefarben. Zwischen den weiÃen Türen hingen Fotos von der Küste in Queensland an der Wand, und am Ende stand eine weiche rosafarbene Couch, auf der im Moment zwei kleine Kinder hockten, die zwar mit Büchern und Kuscheltieren versehen worden waren, aber verschüchtert dasaÃen und vor sich hin starrten. Sarah schaute auf die Nummern an den Türen und rechnete im Geiste nach, wie viele Monate sie ihre Mutter schon nicht mehr gesehen hatte. Sie lieà ihr Gepäck an der Tür stehen und klopfte einmal, bevor sie eintrat.
» Sarah, wie schön, dich zu sehen.« Sarah blickte zu dem Krankenhausbett, während ihr Vater sie zu einem der beiden Lehnsessel führte. Er sah gut aus, wenn auch ein wenig müde. Noch hielt er seine massige Gestalt gerade und füllte den Raum mit den unübersehbaren Merkmalen eines Gordon: gut aussehend, stur und mit einer Aura, dass sich die Leute auf der StraÃe umdrehten. Auf dem breiten Fensterbrett und dem Tisch neben dem Bett ihrer Mutter lagen Zeitungen. Sue Gordon saà aufrecht im Bett, ein cremefarbenes Bettjäckchen um die Schultern, und starrte mit leerem Blick an die Wand gegenüber. Sofort fragte Sarah sich, ob es überhaupt nötig war, dass sie hierhergekommen war. Sie hätte in der Wohnung ihres Vaters warten oder am Strand spazieren gehen können.
» Es geht ihr gut«, erklärte ihr Vater. » Natürlich weià sie nicht, wo sie ist oder wer ich bin.« Er räusperte sich. » Ich bin sicher, das Lesen hilft. WeiÃt du, sonst liegt sie nur schweigend im Bett.«
Sarah setzte sich in den Sessel. » Liest du ihr laut vor?«
» Natürlich, vor allem die Nachrichten, allerdings wechsle ich manchmal einfach auf die Unterhaltungsseite. Als wir in Sydney lebten, ist sie schrecklich gerne ins Kino gegangen.«
» Dad.« Sarah berührte ihren Vater sanft am Arm. » Du weiÃt doch, dass die Ãrzte vor zwei Jahren schon gesagt haben, dass sie nicht mehr bei Verstand ist, alsoâ¦Â«
» Ach, meinst du, dann brauche ich mir auch keine Mühe zu geben?«, fuhr Ronald sie an. Er begann, die Zeitung einzusammeln, und stapelte sie ordentlich auf. » Vielleicht fühle ich mich ja dann besser.«
Oben auf seinem Kopf war eine runde, kahle Stelle. Seine gebräunte Haut bildete einen scharfen Kontrast zu seinen braunen Haaren mit den grauen Strähnen, aber trotzdem wirkte er jünger als seine Frau. Sarah blickte zu ihrer Mutter. Aus irgendwelchen Schuldgefühlen heraus vergeudete ihr Vater sein Leben. SchlieÃlich hatte er doch keinen Unfall verursacht, der zu ihrem jetzigen Zustand geführt hatte, und auch ihre Mutter hatte sich in der Vergangenheit nicht moralisch einwandfrei verhalten.
» Jim Macken ist nach Australien
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