Im Feuer der Begierde: Roman (German Edition)
Möblierung war verschwunden, die dunklen Wände waren mit weißer Seide verhangen. Auch von der Decke hing Seidenstoff, was einen eleganten Zelteffekt erzeugte. Im Gang waren Blumen um weiße Steinfackeln geschlungen, zwischen denen polierte Schilde platziert waren. Sie reflektierten den Feuerschein, sodass der ganze Gang in einen goldenen Schimmer getaucht war. Der Duft, der mir in die seit Neuestem so feine Nase stieg, war schwer und süß. Es war, als würde ich durch einen verzauberten Tunnel schreiten.
Marty und Gretchen betraten den Ballsaal durch den Haupteingang. Mein Vater und ich folgten ihnen, und als wir auftauchten, verschluckte die aufbrandende Orgelmusik mein Keuchen.
Nicht das verwandelte Aussehen des Ballsaales raubte mir den Atem, obwohl die riesigen Säulen weißer Rosen und die massigen antiken Kerzenleuchter mit Hunderten entzündeter Kerzen den Raum in eine schwüle Traumkulisse verwandelt hatten. All die Gesichter waren es, die sich uns zuwandten. Bestimmt zweitausend Gäste waren gekommen und bildeten ein Meer aus schwarzen Smokings, hier und da gesprenkelt von Farbtupfern in Gestalt von Frauen in förmlichen Roben.
Hat Vlad die ganze Stadt eingeladen?, fragte ich mich ungläubig.
Der Gedanke verflog, als ich meinen Bräutigam erblickte. Vlad stand erhöht auf einem weißen Podest, über das sich etwa einen Meter oberhalb seines Kopfes ein Baldachin aus ineinander verschlungenen Eisenreben spannte. Er trug keinen Smoking. Klar, dass er wieder aus der Reihe tanzen musste. Sein ebenholzfarbenes Jackett war um die Schultern mit dicken Achselschnüren geschmückt, was mich an die Paradeuniformen denken ließ, die Könige bei offiziellen Anlässen trugen. Der hohe Kragen war bis über den Hals zugeknöpft und bildete einen Rahmen für seine markante, fein gemeißelte Kinnpartie. Die Hose war ebenfalls schwarz, doch der Mantel, der ihm über die Schultern und bis zu den Füßen fiel, leuchtete scharlachrot. Der Saum war aus Hermelin, und geschlossen wurde er durch eine breite Goldkette, in deren Mitte ein Anhänger aus Gold und Gagat baumelte, so groß wie Vlads Faust.
Kurz gesagt, er war ein fantastischer Anblick.
Als ich den Gang entlangschritt, nahm ich kaum jemanden um mich herum wahr. Selbst den Druck, den die Hand meines Vaters ausübte, spürte ich nicht mehr. Vlads Haar war streng zurückgekämmt, was seine leichten Geheimratsecken erkennen ließ. Ohne seine dunkle Mähne wirkten seine hageren Züge, die markanten Augenbrauen und hohen Wangenknochen umso eindrucksvoller, und seine kupfrigen Augen schienen bis in meine Seele zu blicken.
Komm zu mir, befahlen sie stumm. Und ich hätte mich beim besten Willen nicht widersetzen können.
Noch etwa sechs Meter trennten mich von Vlad, da züngelten Flammen den eisernen Baldachin empor, um sich durch die verschlungenen Reben zu winden. Mein Vater hielt inne und packte meine Hand fester, um mich zurückzuhalten.
»Leila …«
»Schon okay«, sagte ich. Wenn ich bei Vlad war, fürchtete ich kein Feuer.
Damit entzog ich mich dem Griff meines Vaters und ging die letzten paar Meter allein. Der Baldachin stand weiter in Flammen, aber kein Fünkchen fiel zu Boden. Als ich oben angekommen war und Vlads Hand nahm, hatte die Hitze des Feuers das Eisen zum Glühen gebracht, bis es aussah, als hätte das Metall sich in flüssiges Gold verwandelt.
Zu sagen, ich würde mich immer an diesen Augenblick erinnern, wäre eine Untertreibung gewesen.
Ich war so geblendet, dass es eine Sekunde dauerte, bis ich merkte, dass auch von hinten eine Treppe auf das Podest führte. Ein grauhaariger Herr in einer langen weißen Robe stieg zu uns empor. Dann machte er das Kreuzzeichen und intonierte etwas auf Lateinisch. Als er fertig war, setzten sich alle fast vollkommen gleichzeitig. Diese Synchronizität der Bewegungen sagte mir, dass die meisten Gäste offensichtlich Vampire waren.
Ich wusste ja nicht, dass du so viele Freunde hast!, rutschte es mir in Gedanken heraus, bevor mir bewusst wurde, wie sich das anhörte.
Vlads Lippen zuckten. Dann begann der Geistliche? – Offiziant? –, auf Englisch zu sprechen, sodass ich ihn endlich verstehen konnte.
»Liebe Freunde«, begann er mit ausgeprägtem italienischen Akzent. »Wir sind heute hier zusammengekommen, um zu bezeugen, wie dieser Mann und diese Frau in den heiligen Stand der Ehe treten.«
Dank meiner Fähigkeiten hatte ich schon jede Menge Hochzeiten miterleben dürfen. Und auch ausreichend
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