Im Feuer der Begierde: Roman (German Edition)
Bruder an seinen schlimmsten Feind verschachert, um sich politische Sicherheit zu erkaufen«, antwortete Vlad unverblümt. »Und seither habe ich noch weit Schlimmeres gesehen. Nicht weil Sie ein Vater sind, bedeuten Ihnen Ihre Töchter mehr als Geld, Macht oder die Heilung Ihres Beines, zu der ich Ihnen verhelfen könnte. Sie sind loyal, jetzt wohl erst recht, da Sie einmal einen Verrat begangen und dafür einen Verlust erlitten haben.«
Ich wusste nicht, was mich mehr schockierte: dass Vlad behauptete, er könnte das kranke Bein meines Vaters heilen, oder dass er ihm das Wissen um seinen Ehebruch unter die Nase rieb. Meine Schuldgefühle hatten mich dazu getrieben, Vlad die Geschichte zu erzählen. Ich hatte meiner Mutter die verfänglichen Briefe gezeigt, die ich in der Tasche meines Vaters gefunden hatte, weil ich sauer war, dass sie mit uns nach Deutschland ziehen und mich aus dem Training reißen wollte. Mit dreizehn Jahren war mir die Chance, an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können, wichtiger gewesen als der Kummer, den ich meiner Mutter zufügte. Nachdem sie meinen Vater verlassen hatte, zogen wir bei meiner Tante ein, wo meine Mutter ums Leben kam, als sie versuchte, mir bei meinem Unfall mit der Hochspannungsleitung zu Hilfe zu kommen.
Auch mein Vater wirkte verdutzt, stand aber schließlich auf und stieß mit seinem Gehstock in Richtung Vlad. »Wie können Sie es wagen?«
Seine Stimme bebte vor Zorn. Vlad zuckte nicht mit der Wimper.
»Ich wage es, weil ich nicht will, dass zwischen uns Missverständnisse aufkommen. Ich bin genau so, wie Sie mich einschätzen, aber ich liebe Ihre Tochter, und was ich liebe, das beschütze ich mit aller mir eigenen Grausamkeit, und die ist, wie Sie bereits erkannt haben, immens.«
Als Vlad zu Ende gesprochen hatte, trat Schweigen ein. Selbst das Personal hatte offenbar in seiner hektischen Betriebsamkeit innegehalten, denn aus dem Nebenzimmer war kein Geräusch mehr zu hören. Das Gesicht meines Vaters blieb unnachgiebig, während ich mich in einen inneren Disput vertiefte.
Er hätte wirklich nicht erwähnen müssen, wie viele Leute er schon umgebracht hat …
Warum? Das kann man sogar googeln.
Schon gut, aber dass er das mit Dads Seitensprung ausgeplaudert hat …
Er hat sich im Ton vergriffen, als er etwas Bestimmtes klarstellen wollte? Er ist Vlad der Pfähler. Für gewöhnlich regelt er so etwas mit einem Holzpflock.
Schon, aber die beiden werden ja jetzt zu einer Familie gehören …
Hast du gehört, was Vlad von seiner Familie erzählt hat? Und dabei hat er noch nicht mal erwähnt, dass sein kleiner Bruder mehrmals versucht hat, ihn umzubringen.
Und so weiter und so fort. Wie ich bereits befürchtet hatte, mutierte ich allmählich zu Gollum.
Was ich nach einigen langen Sekunden schließlich sagte, war Folgendes:
»Ich kann dir nicht verdenken, dass du sauer bist, Dad. Würde meine Tochter mir sagen, dass sie den untoten Fürsten der Finsternis heiraten will, würde ich auch ausflippen. Es muss dir weder gefallen, noch musst du es billigen, aber du kannst mich nicht davon abhalten, und ich hoffe …« Ich versuchte, den Kloß hinunterzuschlucken, der mir plötzlich in der Kehle saß. »Ich hoffe, du kommst zu meiner Hochzeit.«
Damit ging ich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich zum Gehen wandte. Was immer mein Vater, Gretchen und Marty auch tun würden, ich musste mich für meine Hochzeit zurechtmachen.
28
Irgendwann war ich mir sicher, dass ich gleich aufwachen würde. Das war nicht ich, die zu ihrer Hochzeit ein Kleid auf den Leib geschneidert bekam, so flink wie von Feenhand gefertigt. Ich war das Mädchen, das seine Mutter verloren hatte, bevor es sie richtig hatte kennenlernen können. Dessen Träume zunichtegemacht wurden, dessen Familie feindselig war, das Mädchen, das niemanden berühren konnte, ohne ihn in Lebensgefahr zu bringen, und das in Finsternis versank, weil es durch seine Fähigkeiten gezwungen war, so viele schwere Sünden anderer nachzuerleben.
Aus dem Spiegel sah mir eine ganz andere entgegen. Mein Kleid hatte ein cremefarbenes Mieder mit überlappendem Brustteil, das meine moderaten Kurven üppiger wirken ließ. Das mehrlagige Rockteil aus Chiffon war mit Spitze und Stabperlen bestickt. Der Spitzenbolero ließ mein Dekolleté unbedeckt, schmiegte sich um Nacken und Schultern und endete in hauchzarten Ärmeln. Sie reichten mir bis zu den Fingern, sodass die Stickereien meine lange
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