Im Feuer der Nacht
Übelkeit, aber aus einem anderen Grund.
Sie atmete ein paarmal flach, zog widerwillig die von Gewalt getränkte Luft in ihre Lungen und löschte die Nummer. Dann wählte sie eine sehr viel vertrautere Zahlenfolge.
Nachdem Clay Talin verlassen hatte, ging er wieder in die Bar, um sich volllaufen zu lassen. Er sah, dass sich Dorian zu ihm setzte, dass Rina ihm besorgte Blicke zuwarf und dass Joe ein paarmal aus der Küche kam, um nach ihm zu sehen, doch er ignorierte sie, wollte einfach nur die Bilder von Tally, seiner Tally, mit anderen Männern auslöschen.
„Das reicht jetzt.“ Dorian nahm ihm die Flasche aus der Hand.
Clay schlug dem anderen Wächter mit dem Handrücken ins Gesicht und nahm ihm die Flasche wieder ab.
„Herrgott noch mal!“ Dorian rappelte sich vom Boden auf und rieb sich das Kinn. „Ich kann doch nicht zulassen, dass du säufst, bis du umfällst.“
„Hau ab.“ Clay wollte genau das und würde es auch tun.
Dorian stieß einen Fluch aus und schwieg dann plötzlich. „Na, Gott sei Dank. Vielleicht kannst du ihn zur Besinnung bringen.“
Clay sagte kein Wort, als Nathan sich auf die Bank ihm gegenüber schob. Der älteste Wächter der DarkRiver-Leoparden kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf den roten Kunstlederpolstern zurück. „Lass uns kurz allein, Dorian. Rina soll dir Eis auf die Schwellung legen.“
Clay wartete auf Nates Predigt, aber dieser sah ihn nur ruhig aus seinen dunkelblauen Augen an.
„Was ist denn?“, fragte er mit ausdrucksloser Stimme. Andere Leoparden hätten in seiner Lage geknurrt oder nach Nate geschnappt, aber Clay wusste, es würde ein Blutvergießen geben, wenn er seiner Wut in dieser Nacht freien Lauf ließ.
„Ich hab dich bisher nur einmal betrunken erlebt“, sagte Nate, „damals, als ich deinen erbärmlichen Arsch aus dieser Kneipe in New York geholt habe.“
Clay grunzte, Nate hatte ihm in jener Nacht das Leben gerettet. Er war gerade aus dem Gefängnis gekommen, hatte erfahren, dass Talin tot war, und war geradewegs dabei, sich selbst auszulöschen. Voller Schmerz und Wut hatte er einen Streit mit Nate provoziert, und der zehn Jahre ältere, geübte Kämpfer hatte ihn gründlich vermöbelt.
Doch anstatt ihn den Aasfressern zu überlassen, hatte ihn Nate mit in sein Hotel genommen. Die Frau des Wächters, Tamsyn, hatte nur einen Blick auf ihn geworfen und gesagt: „Mein Gott, ich dachte, in New York gäbe es keine großen Katzen.“ Zum ersten Mal in seinem Leben war Clay in Gesellschaft anderer Leoparden gewesen.
„Damals“, fuhr Nate fort, „ging es um ein Mädchen. Du hattest Talin verloren.“
„Ich hätte dir nie von ihr erzählen sollen.“
„Du warst noch sehr jung.“ Nate zuckte die Achseln. „Rina hat mir erzählt, dass heute eine Frau bei dir war.“
„Rina sollte nicht so viel quatschen.“
Nate grinste. „Rudelgesetze. Rumschnüffeln bei den Gefährten gehört dazu. Hast du mir etwas dazu zu sagen?“
„Nein.“
„Auch gut.“ Nate stand auf. „Wenn du mit dieser Selbstzerstörung fertig bist, fällt dir vielleicht wieder ein, dass Lucas und Sascha sich morgen mit Nikita Duncan treffen. Du solltest dem Alphapaar den Rücken freihalten.“
„Mist!“ Clay stellte die Flasche ab, die plötzliche Erinnerung vertrieb die dunkle Wut. Nikita Duncan war Saschas Mutter und Mitglied des mächtigen Rats der Medialen. Und fähig zu morden. „Ich werde da sein.“
„Nein.“ Nate sah ihn mit kaltem Blick an. „Du bist draußen. Ich werde das übernehmen.“
Nichts anderes hätte Clay so schwer treffen können. Nur die Loyalität zum Rudel hielt ihn noch auf der richtigen Seite. Ohne sie würde er ein kaltblütiger Mörder werden. Erst recht jetzt, da Talin ihm das Herz aus der Brust gerissen hatte. „Volltreffer.“
„Morgen bist du immer noch nicht ganz bei dir.“ Nate hielt ihm die Hand hin. „Komm jetzt.“
Der Leopard in ihm war bereit zur Gewalt, doch der gefährliche Moment war schnell wieder vorbei. Clay nahm Nates Angebot an und ließ sich auf die Beine helfen. Der Raum drehte sich um ihn. „Mist, bin ich blau.“ Clay legte den Arm um Nates Schulter.
„Meinst du wirklich, Sherlock Holmes?“ Dorian tauchte an Clays anderer Seite auf. „Mann, es muss dich ja echt fertig gemacht haben, dass die Tussi nur auf Frauen steht.“
„Wie bitte?“ Nate stolperte und hätte die beiden anderen fast mit sich gezogen.
Clay fletschte die Zähne. „Sie steht auf Männer“– die Wut kochte
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