Im Feuer der Nacht
Neugierde. Etwas, was sie bisher für keine andere Menschenseele empfunden hatte, ganz sicher nicht für einen Mann. Die Faszination für ein solches Objekt war fraglos eine geistige Übung, zumindest für sie und soweit es ihn betraf; und sie besaß auch eine deutliche körperliche Seite, eine sinnliche Empfindlichkeit, die nicht zu leugnen war und der sie - wie ihre fortgesetzte Reaktion auf jede kleine Berührung bezeugte - offenkundig auch nicht ausweichen konnte.
Genau darin lag die Krux.
Wenn sie die Zeichen nicht vollkommen falsch deutete, wollte er sie, begehrte sie auf eine durch und durch körperliche Art.
Wie andere Männer es auch getan hatten oder es jedenfalls behaupteten. Aber seltsamerweise hatte sie niemals auch nur die geringste Neugierde empfunden. Nur Barnaby Adair weckte ihre Neugierde, nur von ihm war sie fasziniert, nur er ließ sie über Dinge staunen, die sie schon vor langer Zeit als langweilig und ihrer Aufmerksamkeit unwürdig abgetan hatte.
Jetzt schenkte Penelope ihnen Aufmerksamkeit. Und das war so merkwürdig, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie darauf reagieren sollte - wie sie sich darum kümmern, ihre Neugierde befriedigen und Antworten auf ihre zahllosen Fragen finden sollte sicher, ohne den Blick für die Tatsachen zu verlieren oder ihre Zukunft zu riskieren, die Fähigkeit, ihren Willen auszuüben und ein unabhängiges Leben zu führen. Das war immer ihre Absicht gewesen, und auch jetzt beabsichtigte sie es noch. Nichts hatte daran etwas ändern können.
Am Geländer blieb sie stehen, immer noch schützend in die Dämmerung gehüllt. Stirnrunzelnd ließ sie den Blick über die wogenden Köpfe schweifen. Wie lange würde sie noch auf der Empore hin und her marschieren müssen, obwohl es nirgendwo hinführte?
Bei diesem Gedanken überlief ihren Nacken das schon vertraute Prickeln, das alle ihre Sinne weckte, und breitete sich dann in die südlichen Körperregionen aus. Atemlos schnappte sie nach Luft, wirbelte herum und entdeckte eine dunkle, geheimnisvolle und gefährliche Gestalt direkt hinter sich.
Wie der Blitz fuhr die erwartungsvolle Vorfreude durch ihren Leib. Ihr Herz raste, raste dann noch schneller.
Penelope öffnete den Mund, wollte ihn schelten, weil er sie so erschreckt hatte; aber bevor sie ein Wort über die Lippen bringen konnte, umschloss er ihre Hüfte, schwang sie herum, fort vom Geländer und noch tiefer in den Schatten hinein.
Barnaby trat näher, zog sie in die Arme.
In einen Kuss, der ihr schier den Atem verschlug.
Ihr den Verstand raubte.
Überaus besitzergreifend, in keiner Weise zögerlich, schloss er sie in seine Arme. Wie ein stählerner Gürtel legten sie sich um ihren Rücken, pressten sie an ihn. Seine Lippen fuhren gebieterisch über ihre, die sich bereits zu einem Protest geöffnet hatten, der niemals laut wurde; er hatte seinen Vorteil genutzt und erhob Anspruch auf ihren Mund, ihre Sinne, ihre Gefühle und ihren Verstand.
Es war eine Waffe, die er mit vollendeter Beherrschung handhabte, sie verstörte, sie betörte, verführte.
Aber diesmal ging es um mehr - mehr Gefühle, mehr Empfindungen, mehr zu lernen. Mehr Hitze, mehr flimmerndes Vergnügen, so als ob erregende kleine Fünkchen durch ihre Adern tanzen würden, um sich unter ihrer Haut einzunisten, sich zu entzünden und lichterloh zu brennen.
Als ob sich lauter kleine Feuerchen bilden würden, die sich ausbreiteten, ineinanderflossen und sie innerlich wärmten.
Sie erhitzten.
Bis sie sich der zunehmenden Hitze ergab, sich ihm unterwarf und seinen Kuss erwiderte.
Penelope begriff nicht, warum sie es tun wollte, was sie dazu trieb, die Finger in sein seidiges Haar zu wühlen und ein Duell aus Kuss und Rückzug mit ihm auszufechten, ein Duell aus förmlich verknoteten Zungen und gierigen Lippen, aus einer Lust, die aufblühte, sich ausbreitete und sie erfüllte - sie wie auch ihn.
Im hintersten Winkel ihres Hirns, dort, wo es noch mühsam arbeitete, statt sich der zwingenden Lust des Kusses zu unterwerfen, gelang es ihr nicht zu begreifen, warum in ihr solche Befriedigung aufbrandete, nur weil sie in ihrem tiefsten Innern wusste, dass ihr Kuss - und sie - ihm dieses Vergnügen schenkten.
Warum sollte sie sich dafür interessieren? Bei anderen Männern ging es sie doch auch nichts an.
Warum jetzt? Oder sollte sie besser fragen: Warum bei ihm?
War es, weil ... konnte es sein, weil ... er sie begehrte? So aufrichtig begehrte, wie kein anderer Mann es jemals getan
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