Im Feuer der Nacht
zu, als sie auf dem Weg zur wartenden Droschke um die aufgestapelten Kisten im Hof ging und dabei auf dem unebenen Kopfsteinpflaster das Gleichgewicht zu wahren versuchte. »Die Wills sind vertrauenswürdig, nicht wahr? Sie werden doch nicht ... oh, sie werden sich doch nicht einem Zechgelage hingeben und Marys Bewachung vergessen?«
Barnaby schüttelte den Kopf. »Nein, das werden sie nicht.«
»Ich schätze Ihre Zuversicht. Aber wie können Sie sich da so sicher sein?«
»Haben Sie nicht gehört, wie sie Mary genannt haben? Eine >Mama<.«
»J... ja. Oh, verstehe.«
»Nun, ich glaube, über Mary und Horry müssen wir uns keine Sorgen machen.«
»Übernehmen Sie es, Stokes zu benachrichtigen?«
»Sobald ich Sie nach Hause zurückgebracht habe, mache ich mich auf die Jagd nach ihm.«
Am nächsten Vormittag arbeitete Penelope an ihrem Schreibtisch im Findelhaus, informierte sich über tausend Einzelheiten, die ihr entglitten waren, während sie nach den entführten Jungen gesucht hatte, als ihr plötzlich ein Prickeln über die Haut rann.
Sie schaute auf - und entdeckte ihre Nemesis, die sich an den Türbogen lehnte, unglaublich elegant und doch zugleich unleugbar gefährlich.
So ungefähr sah er jedenfalls in ihren Augen aus.
Hochmütig, wie es nur einer Herzogin geziemte, hielt sie die Feder über der Liste, die sie gerade geschrieben hatte, und zog beide Brauen hoch.
Barnaby lächelte, nicht charmant, sondern unverwandt und amüsiert, als ob nichts leichter für ihn wäre, als die widersprüchlichen Impulse zu entziffern, die sie durchfluteten.
Penelope hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie mit ihm umgehen sollte, was sie mit ihm und mit seinem offenkundig fixierenden Blick auf sie anstellen sollte. Langsam, aber sicher wurde ihr klar, dass diese »sie« - die Frau, die er in ihr erkannte -nicht dieselbe »sie« war, die die übrigen Bewerber aus den besseren Kreisen in ihr erblickten. Vermutlich war das die Krux ihrer Schwierigkeit, mit ihm umzugehen; aber sie wusste nicht, wie sie sich in die übliche höfliche Distanz zurückziehen sollte, ganz besonders deshalb nicht, weil die Ermittlungen sie immer wieder in seine Nähe trieben - und umgekehrt.
Als Penelope seine Lippen zucken sah, dann beobachtete, wie er sich vom Türbogen abstieß und sich ins Zimmer pirschte, sich schließlich mit der gewohnten unbeschreiblichen Eleganz in den Stuhl vor ihrem Schreibtisch gleiten ließ, wusste sie nur eins: Sie musste eine Lösung finden.
Sie hielt ihre Miene so unbestimmt wie nur möglich und bemerkte kühl: »Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
Er lächelte breiter und noch weniger vertrauenswürdig. »Es geht eher darum, was ich für Sie zu tun gedenke.«
»Oh?« Sie legte die Feder ab und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Und was sollte das sein?«
»Ich bin gekommen, um Ihnen vorzuschlagen, dass wir Zettel im East End zirkulieren lassen, eine Art Steckbrief mit Namen und Beschreibungen der fünf vermissten Jungen, und dass wir eine Belohnung für Hinweise anbieten, die zu ihrem Aufenthaltsort führen.«
Penelope reagierte sofort, versuchte gar nicht erst, es zu verbergen. »Das ist brillant!« Sie strahlte. War unfähig, ihre aufkeimende Begeisterung für sich zu behalten. »Wie wollen wir das anstellen?«, fragte sie.
Wieder lächelte er, diesmal allerdings wirkte es in keiner Weise bedrohlich. »Ganz einfach. Sie überlassen mir eine Liste mit den Namen und mit der besten Beschreibung, die Sie zustande bringen können. Ich werde dafür sorgen, dass die Angaben gedruckt werden. Ich kenne ein Unternehmen, das sich über Nacht darum kümmern wird.«
Ein Unternehmen, das ihm einen Gefallen schuldete, keinen kleinen, und das glücklich wäre, sein Konto ausgleichen zu können, sei es auch nur mit einem unbedeutenden Beitrag.
Penelope zog bereits ein Blatt unbeschriebenes Papier hervor. »Über Nacht? Ich dachte, man müsse gewöhnlich mit mehreren Tagen Verzögerung rechnen.«
Er zuckte die Schultern. »Wir haben nicht viel Text. Der Satz wird also nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.«
Sie nahm die Feder wieder zur Hand und betrachtete das Blatt Papier. »Wie sollen wir das formulieren?«
»Listen Sie jeden Namen auf, zusammen mit einer Beschreibung.« Barnaby diktierte ihr den üblichen Text für einen Steckbrief, die Ankündigung einer Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, und schloss mit der Anweisung, sich an Inspektor Stokes bei Scotland Yard zu
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