Im Fischernetz (German Edition)
Fallen nicht versehentlich auszulösen.
Es war ungefähr einen Mond nachdem Alvar nach Thalessia gekommen war, als er sich das erste Mal wieder wirklich sicher fühlte. Die Ruine war für ihn wie ein Igel, der sich zusammenrollte und die Stacheln nach außen streckte, und er und Sayain saßen inmitten all dieser Stacheln, umgeben von Wärme und Sicherheit. Sie saßen am Lagerfeuer am Strand, aßen gebratene Muscheln und beobachteten den Sonnenuntergang. Alvar aß seine letzte Muschel, dann ließ er sich rücklings in den Sand fallen.
»Der Abendstern. Da oben. Unser Leuchtfeuer, wenn wir fahren zur See.«
Sayain legte den Kopf in den Nacken. »Er ist schön. Magst du das Meer, Alvar ?«
Alvar nickte. »Ja. Sehr. Ich wollte nie zur See fahren eigentlich, wollte immer werden... Schreiber. Aber ich habe immer gemocht. Wind und Wasser, das ist schön. Du liebst sie, richtig? Die See.«
Sayain lachte leise. Der Laut schlich sich in Alvars Herz und nistete sich dort ein. Es war ein sanftes, warmes Lachen, in dem immer ein wenig Selbstspott mitschwang.
»Oh ja«, sagte Sayain leise, »ich liebe das Meer. Ich liebe das Wasser. Ich könnte nie irgendwo leben, wo ich das Meer nicht sehen kann. Ich kann nicht atmen, wenn es nicht nach Meer riecht, und finde keinen Schlaf, wenn sein Rauschen nicht für mich singt .« Er bohrte die Zehen in den Sand. »Das Meer und ich, wir sind Freunde .«
Alvar lächelte. Das klang so leidenschaftlich, als spräche Sayain von einem Geliebten. Oder von einer Geliebten. Alvar seufzte innerlich und starrte aufs Wasser. Ich, sein Geliebter? Er der meine? Vielleicht... Der Mond ging auf, und das Blutrot des Sonnenuntergangs wandelte sich in flüssiges Silber.
»Wunderschön«, murmelte Alvar. Mondlicht ließ Sayains helle Haut sanft schimmern. Er grub die Finger in den Sand, um nicht die Hände nach Sayain auszustrecken.
» Silfri «, murmelte er. Ja, das war es. Viel leichter auszusprechen als Sayains Name. Und so passend.
»Was?« Sayain hatte sich zum ihm umgewandt und sah ihn an.
» Silfri . Silberner in mein Sprache. Gut Name für dich.«
Wieder dieses sanft-warme Lachen. Alvar schloss die Augen und genoss den Schauer, der seinen Körper erbeben ließ. »Darf ich so nennen ?«
Sayain nickte. » Silfri . Warum nicht? Es gefällt mir .«
Eine Weile saßen sie schweigend da, Sayain hatte den Blick zum Himmel gewandt, Alvar sah Sayain an. Erst, als der Nachtwind auffrischte und sich Wolken vor den Mond schoben, richtete Sayain sich auf.
»Wir sollten reingehen, es wird bald regnen«, sagte er und streckte Alvar eine Hand entgegen. Alvar nahm sie und ließ sich hochziehen, wieder einmal wunderte er sich, wie kräftig Sayains schlanke Finger waren. »Heute sind sie nicht gekommen. Vielleicht kommen sie morgen. Wir sollten nicht zu lange schlafen .«
Alvar nickte. Ich hoffe, sie kommen nie mehr.
Sie erklommen den Turm, bereiteten sich für die Nacht vor und krochen in ihre Betten. Sayain streckte sich ausgiebig und gähnte. »Ich bin müde !« Er seufzte, kuschelte sich in seine Felle, und schon nach kurzer Zeit kam sein Atem tief und regelmäßig. Alvar sah ihn an und lächelte.
»Gut Nacht, Silfri «, murmelte er leise. Möge dein Schlaf ohne Träume sein. »Schlaf gut .« Er flüsterte es beinahe lautlos. Dann rollte auch er sich in seine Decken. Es dauerte, bis der Schlaf endlich kam, aber Alvar war sich sicher, dass er geschlafen haben musste, als ihn rollender Donner aufschreckte. Durch das scheibenlose Fenster über ihren Bettrollen sprühten Regentropfen hinein, zuckende Blitze zerrissen den Himmel und tauchten das Turmzimmer in gespenstisches blaues Leuchten.
Sayains Bett war leer.
» Silfri ?«
Es kam keine Antwort. Alvar versuchte, sich zu beruhigen – vielleicht hatte Sayain nur einmal kurz nach draußen gemusst, er würde schon wiederkommen. Er wartete, aber Sayain kam nicht. Er zählte, bis einhundert, bis tausend, aber Sayain kam nicht zurück. Eine kalte Hand schloss sich um sein Herz. Was, wenn Sayain hinausgegangen war und jemand hatte draußen auf ihn gewartet und ihn überfallen, gefangengenommen , verschleppt?
»Verdammt...« Alvar sprang auf und trat ans Fenster. » Silfri «, flüsterte er in den Wind, dann rief er laut. » Silfri !«
Es kam keine Antwort, Wind und regen rissen den Namen von seinen Lippen, als Alvar noch einmal rief. Und dann sah er es. Aus den aufgewühlten Wogen des Meeres erhob sich in einem kraftvollen Sprung der schneeweiße Leib des großen Fisches.
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