Im Fischernetz (German Edition)
kleinen Fallen. Du hast dich auch ziemlich erschreckt, nicht wahr ?«
Alvar nickte. Dann seufzte er, als er verstand, worauf Sayain hinauswollte.
»Du wieder wollen machen Geister. Nicht tun. Sie wissen, dass Geister nicht echt. Dass Geister nur Spiel mit Feuer und Fallen. Sie haben gefunden Spuren. Sie nicht mehr... Angst. Wenn kommen wieder, dann suchen. Mich. Dich.« Er senkte den Kopf. Immer wieder hatte er Galdur von diesem Ort sprechen hören, einem guten Platz, um »Waren« zu übergeben, die er in Ombia weiterverkaufen würde. Alvar hatte es gehasst, dazu gezwungen zu sein, ihm bei seinen Sklavengeschäften zu helfen. Er wünschte...
»Ich wünsche, können etwas tun. Nicht mehr kommen her und holen Sklaven. Aber wie? Vielleicht nicht mehr kommen, wenn wiederkommen großes Fisch. Großes weißes Fisch wie Geist. Vielleicht glauben, Fisch ist Geist von Land und schützen Bucht hier. Wenn glauben, Fisch ist böser Geist, dann vielleicht nicht mehr kommen .« Er seufzte.
Dazu müsste man den großen Fisch wie ein dressiertes Tier rufen und wegschicken können... das Biest hatte ganz schön gefährlich ausgesehen. Unwirklich, wie ein Geschöpf aus einer Legende. Nichts, das es geben dürfte.
Sayain stand am Fenster und schaute aufs Meer hinaus.
»Glaubst du ?« fragte er zögernd.
Alvar nickte. Er kannte den Aberglauben seines Volkes – die Seefahrer waren die schlimmsten. Seemannsgarn wurde gesponnen wie Wolle, Geschichten über Meeresungeheuer wurden schon den kleinsten Kindern erzählt. Die Nordmänner besegelten das Meer, zähmten es mit ihren Schiffen, fürchteten die Wogen und Stürme nicht, wohl aber die Kreaturen, von denen man sagte, dass sie auf dem Meeresboden hausten und nur darauf warteten, ein Schiff in die Tiefe zu ziehen. Riesenhafte Kraken, Seeschlangen und – Riesenfische.
»Ja«, sagte er. »Ich glauben .«
Sayain holte tief Atem.
»Dann sollten wir hoffen, dass der große Fisch zurückkommt, nicht wahr ?«
DER FISCH
Alvar blieb mehr als nur einen weiteren Tag bei Sayain . Gemeinsam richteten sie Sayains Zuflucht so ein, dass ein zweiter Schlafplatz aufgebaut werden konnte, beobachteten das Meer, fischten und räucherten den Fisch oder hängten ihn zum Trocknen auf, buken Brot und gingen in langen Spaziergängen am Strand entlang. Alvar spürte, dass Sayain sich ihm nach und nach immer mehr öffnete. Zwar erzählte er nie viel von sich, aber er redete, korrigierte Alvars Fehler, nannte ihm die Namen der Dinge, für die er das Wort nicht kannte. Alvar fühlte sich wohl in Sayains Nähe. Er hatte den ruhigen, sanften Mann von Anfang an gemocht, hatte ihm von Anfang an vertrauen wollen – und nun, nach kaum einer Woche in seiner Nähe, nannte sein Herz ihn bereits einen Freund. Ihn zu beobachten, ließ Alvar noch immer sanfte Schauer über den Rücken rinnen. Er konnte nicht aufhören, Sayain zu begehren, konnte nicht aufhören, seine Schönheit zu sehen. Jedes Mal, wenn sie einander zufällig berührten, wenn sie einander nahekamen und er Sayains Wärme spüren, seinen Duft riechen konnte, hätte er ihn am liebsten in seine Arme gezogen. Vor allem, weil Sayain sich langsam an die Berührungen zu gewöhnen schien. Immer seltener zuckte er zusammen, manchmal lehnte er sich sogar ein wenig an. Hin und wieder hatte Alvar sogar das Gefühl, als würde Sayain ihn mit einer gewissen Sehnsucht betrachten. Alvar sagte nichts. Er wartete ab. Aber er konnte nicht leugnen, dass ihm gefiel, wie sie einander näher kamen.
Sie schmiedeten Pläne, aber den großen Fisch hatten sie seit dem Angriff auf Galdurs Ruderboot nie wieder gesehen. Und seltsamerweise wich Sayain jedes Mal aus, wenn Alvar ihn nach dem seltsamen Geschöpf fragte. Ja, er hatte den Fisch schon einige Male in der Bucht gesehen, aber er tauchte nur in unregelmäßigen Abständen auf, und dass er in jener Nacht da gewesen war, war wohl nur ein glücklicher Zufall gewesen.
Nach einer Weile fragte Alvar nicht weiter. Er beschloss, die Zeit mit Sayain zu genießen und versuchte, nicht zu oft an Galdur , den Fisch und die Gefahr zu denken. Sayain zeigte ihm seine Fallen, und Alvar half ihm, sie neu zu gestalten, zu verbessern und überall in der Ruine aufzustellen. Zwar mochten einer oder zwei von Galdurs Männern die Fallen durchschaut haben, aber die Männer, die die Sklaven brachten, glaubten noch immer an die Geister von Thalessia . Schon bald lebten sie wie in einer Festung und gingen nur noch auf verabredeten Pfaden zum Strand, um die
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