Im Fischernetz (German Edition)
Sein Kopf war leer, in seinen Ohren rauschte das Meer, er war triefnass und zitterte vor Kälte. Sayain stand reglos vor ihm, den Kopf gesenkt starrte er auf seine Hände. Wasser rann aus seinem Haar über sein Gesicht.
Nur Wasser?
Langsam bewegte er sich, wandte sich ab und erklomm mit schleppenden Schritten den Strand.
Etwas durchzuckte Alvar wie ein Blitz. Sayain musste sein Schweigen vollkommen falsch gedeutet haben! Er wirbelte herum und lief ihm nach.
» Sayain . Silfri , warte !«
Der Hellhäutige hatte am Strand zu rennen begonnen, lief von der Ruine weg am Spülsaum entlang.
»Bleib stehen !«
Es dauert nicht lange, und Alvar hatte ihn eingeholt. Er war schneller als der zierliche Gestaltwandler, sein Schritt sicherer. Er überholte Sayain , stellte sich ihm mit ausgebreiteten Armen in den Weg.
»Bleib stehen !«
»Nein! Lass mich... du verstehst nicht... lass mich gehen !«
Sayain versuchte, Alvar aus dem Weg zu schieben, doch Alvar packte ihn, hielt ihn fest und drückte ihn an sich.
»Du hierbleiben . Wir zurückgehen. Zusammen. Wir reden .«
Sayain hing zitternd in seinen Armen, schwer sank er in die Knie, und Alvar folgte ihm.
»Es gibt nichts zu reden, Alvar. Geh fort, am besten gleich. Ich kann schon glücklich sein, wenn du mich nicht verrätst. Das ist das einzige, worum ich dich bitte .«
Alvar schnaubte, Wut kochte in ihm hoch. Seine Hand klatschte gegen Sayains Wange, noch bevor er sich dessen bewusst war.
Sayain zuckte zusammen, mit zitternden Fingern berührte er sein Gesicht. Langsam hob er den Kopf, auf dem Gesicht ein Ausdruck, in dem sich ungläubiges Staunen und Schmerz mischten. Der Blick schnitt Alvar ins Herz.
»Götter... Silfri . Nein, ich...« Er nahm Sayains schmale Handgelenke und hielt sie sanft fest.
»Ich wollte nicht... wehtun. Ich wollte... du zuhören. Silfri . Ich... keine Angst. Nicht vor dir. Nicht vor Fisch. Ich erschrocken. Ich... verwirrt. Aber ich keine Angst. Und ich dich nicht jagen. Ich dich nicht verraten. Warum glaubst du? Nicht weglaufen. Komm her. Tut mir Leid .«
Er zog Sayain an sich, der sich ohne Gegenwehr an seine Brust sinken ließ und zitternd die Augen schloss. Trotz – oder gerade wegen – der vollkommenen Absurdität der Situation lächelte Alvar. Er strich über Sayains Haar und hielt ihn fest.
»Alles gut«, murmelte er.
»Wirklich ?« kam es leise aus den Tiefen der Umarmung.
»Ja. Du mich erschreckt. Aber alles gut. Mein Volk... abergläubisch. Ja. Aber mein Volk auch viele Legenden. Und eine ist die von Menschen, die sich verwandeln in Tiere. Legende sagt, solche Menschen sind Schutzgeister. Schützen den Clan. Schützen Kinder. Schützen Frauen, wenn Männer fort sind. Fischwesen schützen Schiffe und Legende sagt, Fischwesen retten vor dem Meer. Vor Ertrinken. Ich tot ohne dich.«
Ich habe einen Fisch gefangen... und was für einen... jetzt muss ich nur sehen, wie ich es schaffe, ihn zu behalten...
Alvar erschauerte, aber jetzt nicht mehr nur wegen der Kälte. Jetzt war es Sayains Nähe, die ihn wohlig erschauern ließ. Er fühlte sich so lebendig an, so gut – und so schutzbedürftig. Am liebsten hätte er diesen Augenblick ins Unermessliche gedehnt, einfach nur, um Sayain weiter in seinen Armen halten zu können.
Sayain regte sich, wand sich und sah Alvar in die Augen.
»Ist das wahr ?« fragte er, die Augen dunkel wie das Meer und tief wie der Nachthimmel.
»Ja. Ich nicht... ich lüge nicht .«
Sayain bebte leise. »Aber ich habe gelogen, Alvar. Ich habe die ganze Zeit gelogen...«
»Weil du hattest Angst .« Alvar legte sanft einen Finger unter Sayains Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen.
»Nicht wegsehen. Ich vergesse. Wir sind Freunde, ja ?«
Sayain lächelte zittrig. Er nahm Alvars Hand und drückte sie fest. Und dann beugte er sich zu ihm und hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Wange.
»Ja«, flüsterte er mit erstickter Stimme, »wir... sind Freunde. Danke .«
Alvar erschauerte. Was war das? Sein Herz schlug wie rasend, als er Sayain fest an sich zog. Sayain schloss die Augen und lehnte sich an ihn.
Die Nacht schwand. Über ihnen dämmerte der Morgen, als er Sayain sanft auf die Füße zog und sie gemeinsam, ganz nah beieinander, in den Turm zurückkehrten.
IM FISCHERNETZ
Sayain lächelte in sich hinein, als Alvar ihn zum Turm zurückführte. Er wusste nicht genau, warum er den anderen geküsst hatte, es war einfach passiert. Er war so unglaublich erleichtert gewesen, dass Alvar ihn nicht wegstieß, jetzt, wo er sein
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