Im Fischernetz (German Edition)
dunkles Geheimnis kannte, sondern ihn im Gegenteil als etwas ganz Besonderes betrachtete. Er hatte in Alvars Augen gesehen, als der ihm von den Legenden seines Volkes erzählt hatte, und es hatte so geklungen, als würde der Nordmann ganz fest glauben, was er da sagte.
Freunde – wie lange war es her, dass ihn jemand Freund genannt hatte? Wir lange war es her, dass ihn jemand ehrlich und aufrichtig gemocht hatte? Und Alvar mochte ihn, er fühlte das, tief in sich. Und es fühlte sich gut an. Es hatte sich gut angefühlt, ihn zu küssen. Es fühlte sich gut an, als Alvar ihn oben im Turmzimmer zu seinem Lager schob und ihm eine Decke um die Schultern legte. Es fühlte sich gut an, dass Alvar Tee kochte, ihm einen dampfenden Becher reichte und sich mit einem weiteren Becher neben ihn setzte.
»Ich... hatte Angst, es dir zu sagen«, murmelte Sayain und nippte an seinem Tee. »Ich wollte nicht, dass du dich von mir abwendest...«
Alvar sah ihn an. »Warum sollte ich ?«
»In meinem Dorf... sie haben das getan«, murmelte er, »sie haben mich vertrieben. Sie wollten mich töten. Ich wurde gefangen und eingesperrt, sie wollten mich verbrennen wie einen Hexer. Dass ich noch lebe, verdanke ich meiner Ziehmutter. Sie hat mich befreit und half mir, zu fliehen, aber ich musste ihr versprechen, nie wieder in unser Dorf zu kommen. Auf der Flucht fingen mich die Sklavenhäscher, und den Rest kennst du. Und jetzt weißt du auch, was ich bin .«
Alvar nickte. »Ja.« Er rutschte näher und legte Sayain einen Arm um die Schultern. Sayain seufzte leise. Alvars Nähe tat gut, sie war angenehm, und er fühlte immer mehr, wie sehr die Einsamkeit, die er all die Jahre ignoriert hatte, sich in seine Seele gefressen hatte. Es tat weh.
Sayain wollte den Schmerz nicht mehr.
»Ich hatte lange niemanden, der mein Freund war«, murmelte er. Und dann lehnte er sich in Alvars Umarmung und schloss die Augen. Berühre mich. Streich mir durchs Haar. Sei bei mir. Sei nahe.
Er wollte es so gern sagen, aber die Worte fanden den Weg über seine Lippen nicht. Am Strand war es so leicht gewesen. Er hätte Alvar gern noch einmal geküsst, aber jetzt traute er sich nicht mehr. Wozu würde das führen? Wozu konnte das führen? Er erschauerte und schmiegte sich enger an Alvar.
Geh nicht weg!
»Tue ich nicht«, flüsterte Alvar ganz dicht neben ihm.
»Was?« Sayain sah auf.
»Hast du nicht eben gesagt, geh nicht weg ?«
»Nein... ich habe nicht...« Sayain erschauerte. Er nickte. Vielleicht hatte er es ja doch laut gesagt.
»Geh nicht weg! Ich meine es so. Bleib! Wenn Galdur wiederkommt, schicken wir ihn mitsamt seinem Schiff zur Hölle, aber bitte, Alvar, geh nicht weg. Ich will... nicht wieder allein sein .«
Sayain spürte eine Bewegung neben sich, dann beugte Alvar sich über ihn, und Sayain fühlte eine Hand, die sich um seine schlang, und Lippen und warmen Atem auf seinem Haar.
»Ich bleibe«, flüsterte der Nordmann. »Ich bin gern hier, Sayain . Silfri . Ich mag dich. Sehr sogar.«
Sayain spürte, wie sein Herz einen Satz machte.
»Keine Angst«, flüsterte Alvars Stimme wieder, so dicht bei seinem Ohr, dass ihm Schauer über den Rücken rannen, sanfte, warme, wohlige Schauer. »Ich nichts machen, was du nicht willst .« Seine Hand wanderte langsam Sayains Arm hinauf, legte sich auf seine Brust. Sayain schluckte. Alvars Hand blieb warm und fest auf seinem wild schlagenden Herzen liegen.
»Keine Angst«, murmelte Alvar wieder, und Sayain holte tief Atem.
»Ich... habe keine Angst...«, flüsterte er, dann sah er zu Alvar auf. Küss mich !... Er konnte es nicht laut sagen.
Sayain schloss die Augen und rührte sich nicht.
Im selben Augenblick senkten sich weiche Lippen auf seine, ganz langsam, ganz vorsichtig und unendlich zärtlich. Sayain zitterte wie Espenlaub. Noch nie hatte ihn jemand so geküsst. Alvar wusste anscheinend ganz genau, was er da tat.
»Alvar...« Sayain flüsterte den Namen zwischen zärtlichen Küssen und immer schneller werdenden Atemzügen.
Da war nur Alvar. Alvar, dessen Lippen nach Wind und Regen, nach Salz und Meer und nach Honig und Tee schmeckten. Alvar, der eine Hand in seinen Nacken schob und ihn sanft festhielt, dessen Lippen an seinen knabberten und sich immer wieder auf seinen Mund senkten, mit verhaltener Leidenschaft, und doch so, dass diese zarten Küsse ein Feuer durch seinen Körper sandten, das für ihn etwas vollkommen Neues war. Alvar ließ ihm Zeit, er ließ ihm Luft zum Atmen. Er nahm diese sanften Küsse
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