Im fünften Himmel
nicht) hat er Erfahrung darin, sich aus solchen Situationen herauszureden. Solche Spontankontrollen durch Polizisten, Sicherheitsbeamte und andere Ordnungshüter überraschen ihn genauso wenig wie das Interesse fremder Frauen.
»Kein Problem«, sagt Marcus und zieht seine Brieftasche hinten aus der Hose. Er klappt sie auf und zeigt sein Führerscheinfoto. Die Polizisten betrachten den Mann auf dem Bild (dünner, mit zweiundzwanzig irgendwie älter als jetzt mit sechsundzwanzig und mit unseligem Al-Qaida-Bart) und vergleichen ihn mit dem Mann, der vor ihnen steht.
»Und Ihr Flugticket?«, fragt der erste Polizist.
»Natürlich«, sagt Marcus und tastet seine Taschen ab, bis er die Bordkarte seines Fluges aus New Orleans findet, den einzigen Beweis, dass er noch einen Grund hat, sich hier aufzuhalten. Er reicht den beiden die abgerissene Karte ohne weitere Erklärung. Marcus weiÃ, dass er besser nicht protestieren sollte, vor allem nicht, wenn die Polizisten ihn ohne Grund belästigen. Ohne Grund kann schnell zu einer Nacht in der Zelle werden.
Der erste schaut sich Marcusâ Bordkarte an, gibt sie dann seinem Kollegen zur Kontrolle.
»Der Flug ist schon vor Stunden gelandet«, sagt der Pitbull mit erhobener Stimme. »Sie haben keinen Grund, hier zu sein. Nur ein gültiges Ticket berechtigt zum Aufenthalt im Flughafen. Wir könnten Sie wegen Herumlungerns einbuchten.«
Marcus kann gar nicht mehr zählen, wie oft man ihm schon damit gedroht hat. Er ist ein gewohnheitsmäÃiger Herumlungerer. Heute tut er es zwar absichtlich als Teil seines Plans, Jessica aus der Ferne zu beobachten, doch meistens geschieht es zufällig, eine ungeplante Meditation im Gehen, bei der er so tief in Gedanken versinkt, dass er nicht mehr weiÃ, was er tut (irgendwohin gehen), wo er ist (an einen Laternenmast in der Nassau Street gelehnt) und wie lange schon (eine halbe Stunde). Wie oft hat ihn schon ein Uniformierter wach gerüttelt, der ihn unter dem Einfluss von Alkohol oder schlimmeren bewusstseinsverändernden Substanzen wähnte? Wie oft ist er schon zu spät gekommen, ohne eine akzeptable Antwort auf die Frage parat zu haben, wo er gewesen ist und wieso er so lange gebraucht hat?
»Ich warte auf eine Freundin, deren Flug verspätet ist.«
Marcus bereut die Lüge sofort, denn er lügt nicht gern. Und das aus Prinzip: Die Wahrheit sollte immer genügen, und wenn nicht, dann ist er selbst schuld, dass er sich überhaupt erst in eine moralisch zweifelhafte Lage gebracht hat. Aber er lügt auch aus praktischen Gründen nicht: Er verheddert sich meist in seinen Unwahrheiten.
Aber da er nun schon gelogen hat, muss er auch dabei bleiben. »Ich soll hier bei den Telefonen auf sie warten, aber â« Marcus unterbricht sich mitten im Satz, weil er das nicht weiter ausführen will und kann.
»Mit welchem Flug kommt Ihre Freundin denn?«
Genau aus diesem Grund lügt Marcus so ungern. Eine Lüge erfordert gleich die nächste und die nächste, und das ist alles zu viel für ihn. Sein Herz schlägt schneller. Er fühlt, wie ein Tropfen Schweià aus seiner Achselhöhle tropft und kitzelnd an seinem Oberkörper hinabrinnt, unter seinen Hosenbund.
»Ihre Freundin muss Ihnen doch die Flugdaten genannt haben, richtig?«
Jetzt wird sogar der erste Polizist hektisch, seine fleischigen Wangen wabbeln, als er die Kiefermuskeln anspannt und wieder lockert. Er weià nicht, was dieser Typ vorhat, aber irgendwas stimmt mit seiner Story nicht. Er glaubt, der Typ muss unter irgendwelchen Drogen stehen, er weià nur nicht, welchen. Marcus überlegt, ob es wohl zu spät ist, die erste Lüge wieder zurückzunehmen, oder ob er geschickt genug ist, die erste Lüge mit einer zweiten zu untermauern. Er erinnert sich an Nattys Warnung: Noch zehn Sekunden, und du hast die Grenze zwischen bittersüÃem Wiedersehen und einstweiliger Verfügung überschritten. Der zweite Polizist ist bereit zum Sprung.
Aus dem Augenwinkel sieht Marcus eine Bewegung, eine Gestalt ganz in Schwarz, die aus dem Kundencenter von Clear Sky kommt. Er zeigt mit ausgestrecktem Arm auf sie.
»Da ist sie«, platzt er heraus und lässt die angehaltene Luft ab. »Auf sie warte ich.« Marcus ist in ihrer Hand.
Der erste Polizist trifft die Entscheidung. »Dann wollen wir mal ein Wörtchen mit Ihrer Freundin reden.«
SECHZEHN
Was für
Weitere Kostenlose Bücher