Im fünften Himmel
ein Tag , denkt Jessica, als sie den Highway 9 Bar & Grill ansteuert. Dieser Tag war so ⦠so �
Jessica sucht nach dem passenden Wort, und da sie es nicht findet, fragt sie sich, ob sie überhaupt Alkohol trinken sollte. Sie hat ohnehin schon das Gefühl, sich wie durch einen Traum zu bewegen, vergleichbar dem frühen Stadium der Trunkenheit, wenn die fünf Sinne allmählich keinen Sinn mehr ergeben. Jessica trinkt nicht mehr viel â gestern Abend war eine Ausnahme. Abstinenz fällt ihr leicht, denn Jessica hat es sich zur Regel gemacht, nicht allein zu trinken. Das geht zurück auf ein Video über PROBLEMTRINKEN, das sie in der siebten Klasse in Gesundheitserziehung anschauen musste. ALLEIN TRINKEN kam an zweiter Stelle in der Liste von Anzeichen, dass man ein PROBLEMTRINKER war (nach TRINKEN, UM BETRUNKEN ZU WERDEN). Jessica ignorierte zwar die anderen Warnungen der Liste (TRINKEN, UM BETRUNKEN ZU WERDEN, TRINKEN BIS ZUM ERBRECHEN, TRINKEN BIS ZUR BEWUSSTLOSIGKEIT etc.), doch die Regel gegen das Alleintrinken brach sie höchst selten. Am schlimmsten berauschte sie sich immer in Gesellschaft anderer Menschen. Sie war eine soziale Trinkerin, sympathisch, nicht pathologisch und ganz bestimmt nicht problematisch, nicht mal an den verkaterten Universitätsvormittagen, wenn sie ohne Unterhose und mit dem Geruch frischer Kotze im Haar aufwachte. Und wenn sie nun allein reist, gibt es keine Gesellschaft, in der sie trinken kann. Also trinkt sie nicht. Nur ein einziges Mal hat sie sich Gesellschaft mit aufs Hotelzimmer genommen, in Form von Len Levy. An dem Abend hat sie getrunken. Ein bisschen zu viel.
»Miss!«
Jessica hört den Ruf und nimmt an, dass er jemand anderem gilt, denn sie ist ja jetzt eine »Maâam«.
Wenn sie in Gesellschaft trinkt, dann meistens beim Essen, wobei sie bestellt, was zu den Speisen passt: Margaritas zu Burritos, Sake zu Sushi, kräftigen Roten zu Pasta, Sangria zu Tapas. Ach, wie gern wäre sie schon auf St. John und stieÃe mit ihren besten Freunden mit fruchtigen Cocktails an. Sie bereut nicht, Sunny im Krankenhaus besucht zu haben, wohl aber die unselige Folge ihrer Handlungen â dass sie Bridgets und Percys Hochzeit womöglich ganz verpassen wird.
Jessica hätte vielleicht ein weniger schlechtes Gewissen, wenn sie sicher wäre, dass Sunny etwas von ihrem Besuch gehabt hat. Ihre Eltern (die Jessica vorher nie persönlich kennengelernt hatte und die sympathischer wirkten, als Sunnys Essays vermuten lieÃen; allerdings machte eine derartige Situation aus den dämlichsten Eltern gute Menschen, denen man die Daumen hielt) hatten Jessica ermutigt, mit ihr genauso zu reden, wie sie es sonst auch täte. Sie glaubten, ihre Tochter könne die Worte der Besucher immer noch hören, wenn auch nicht darauf reagieren, und solche Gespräche seien der beste Weg, das verletzte Hirn zu stimulieren, sie könnten den Unterschied zwischen völliger Genesung und halb vegetativem Zustand ausmachen.
»Hey, Sunny«, hatte Jessica geflüstert und statt ihrer die Lichtpunkte auf dem Herzschlagmonitor angestarrt. »WeiÃt du, ich habe extra meine Reisepläne umgeschmissen, um hierherzukommen, also könntest du wenigstens mal aufwachen.«
Es war niemand sonst im Zimmer, dennoch krümmte Jessica sich vor Scham. Der Witz wirkte geschmacklos und gezwungen. Und, das war am schlimmsten, unwitzig. Sunny hätte sie dafür mit Sicherheit fertiggemacht. »Bei allem Respekt, Ms. Darling«, hätte sie gesagt, »wegen solcher lahmen Witze weint das Jesuskind.«
Als Jessica ihren Besuch antrat, wusste sie, dass Sunny nichts zur Unterhaltung würde beitragen können. Doch tief drinnen hatte sie auf ein Kino-Wunder gehofft, das nicht geschehen würde, jedenfalls nicht, solange sie neben Sunny saÃ. Diese verspätete Erkenntnis machte Jessica den Rest des Besuches beinahe unerträglich. Sie blieb nur, bis Sunnys überlastete Eltern von ihrem schnellen Abendessen in der Krankenhaus-Cafeteria zurückkehrten, eine zehnminütige Pause ihrer Wache rund um die Uhr.
Sie bat die beiden, sie jederzeit auf dem Handy anzurufen â Tag und Nacht â, sollte sich an Sunnys Zustand irgendwas ändern. Sie versprachen, jemand würde sie anrufen, wenn auch vielleicht nicht sie selbst. SchlieÃlich müssten in dem Fall eine Menge Leute benachrichtigt werden. Seitdem wartet Jessica
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