Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan McCafferty
Vom Netzwerk:
Jessica fasst sich an die Kehle, räuspert sich. »Ja, ich kenne ihn«, sagt sie mit festerer Stimme. »Er heißt Marcus Armstrong Flutie.« Dann wendet sie sich an den ersten Polizisten und knipst ein Lächeln an. »Und er gehört zu mir.« Sie dreht sich zu Marcus um, stemmt die Hände in die Hüften und sagt in perfekter Entrüstung: »Wo hast du denn gesteckt? Ich warte schon ewig auf dich.«
    Â»Ich habe auf dich gewartet«, sagt Marcus. »Die ganze Zeit.«
    Marcus hebt zum Zeichen der Entschuldigung die Handflächen. Jessica spürt an den Wangen, dass ihr Grinsen vielleicht eine Spur zu weit geht, ein bisschen zu sehr gefallen will, als wäre sie eine talentfreie Naive, hungrig nach Ruhm, die gerade bei der Theatergruppe für eine Rolle in The Sound of Music vorgesungen hat, und sie weiß, die Rolle der Maria steht außer Frage, Liesl ist auch eher unwahrscheinlich, aber vielleicht, ganz vielleicht eine der Nonnen im Kloster, ach, wenn der Regisseur ihr diese Chance geben sollte, er würde es niemals bereuen, sie würde jeden Tropfen Emotion aus ihrer einzigen Zeile pressen …
    Jessicas Phantasie folgt diesem unsinnigen Pfad nur, um der Gegenwart irgendwie zu entkommen. Sie erinnert sich an den winzigen Faden, klammert sich daran, hält ihn fest.
    Â»Okay«, sagt der erste Polizist. »Jetzt haben Sie einander ja gefunden.«
    Die Polizisten bleiben stehen und warten offensichtlich ab, was Marcus und Jessica als Nächstes vorhaben.
    Â»Okaaaaay«, sagt Marcus langsam. »Gehen wir.«
    Â»Ja«, sagt Jessica steif. »Gehen wir.«
    Nach einem Augenblick des Zögerns tritt Marcus auf Jessica zu und stellt sich neben sie. Sie dreht sich in die Richtung, in die sie eigentlich unterwegs war, und setzt einen Fuß vor den anderen.
    Â»Vielen Dank«, murmelt Marcus leise. »Ohne dich und deine Unschuldsmiene säße ich jetzt in einer Arrestzelle. Von dir wollten sie nicht mal die Papiere sehen.«
    Â»Was hast du denn angestellt?«, fragt Jessica, den Blick nach vorn gerichtet.
    Â»Ich habe herumgelungert.«
    Jessicas Augen zucken in seine Richtung. »Herumgelungert?«
    Â»Herumgelungert.«
    Â»Herumgelungert?«, fragt Jessica noch einmal, diesmal mit einem Hauch von Lachen in der Stimme. »Tausende von Leuten sind auf diesem Flughafen unterwegs, und dich greifen sie wegen Herumlungerns auf.«
    Â»Offenbar bin ich ein auffälliger Herumlungerer«, antwortet Marcus. »Allerdings schon weniger, seit ich mir den Bart abrasiert habe.«
    Jessica verzieht den Mund. Den Bart hatte sie gehasst, und das nicht nur wegen der unseligen Gotteskrieger-Assoziationen. Sie war sauer gewesen, dass Marcus nach seiner Rückkehr aus der Wüste den wilden Schamanenvollbart behielt, obwohl sie ihn darauf hingewiesen hatte, dass er ihr die Haut reizte, wenn er gierig ihre Lippen küsste oder sein Mund sich weiter abwärtsbewegte. Damals hatte sie sich gefragt, ob das wohl Absicht von ihm war, ob sie ihn tragen sollte wie ein Büßerhemd aus Haar, eine weitere Form der Bestrafung für ihre sorglose Untreue an der Columbia, nachdem ihr Fehltritt schon zu zweijährigem Schweigen zwischen ihnen geführt hatte. Dass sie dem Menschen, den sie eigentlich lieben sollte, solche Gedanken zutraute, bewies nur, wie schlecht ihre Beziehung inzwischen funktionierte, und für sie war das Grund genug gewesen, Nein zu sagen und ihn ziehen zu lassen.
    Also kann man mit Fug und Recht sagen, dass der Bart ein heikles Thema ist. Sie widersteht dem Drang, ihn zu fragen, wann er ihn abrasiert hat. »Die Dreadlocks sind auch ab.« Das sagt sie stattdessen.
    Marcus reibt sich über die kurzen Strähnen auf dem Kopf. »Hm«, murmelt er und nickt ernst, als nehme er das Offensichtliche – den Verlust seiner ellenlangen Rastalocken – zum ersten Mal wahr. Sie marschieren im Tandem, er einen Schritt hinter ihr, und er fragt: »Wo gehen wir eigentlich hin?«
    Sie wird kurz langsamer, bis er sie eingeholt hat, schaut sich um und winkt den Polizisten, die sie aus der Ferne immer noch beobachten. »Keine Ahnung, aber lass uns weitergehen.«
    Für den Moment reicht ihm diese Antwort völlig.
SIEBZEHN
    Jessica sagt nichts, während sie Marcus durch die Abflughalle C führt. Sie kann erst weiterreden, wenn sie einen Sitzplatz gefunden hat, irgendwo außer Reichweite der Schwärme von

Weitere Kostenlose Bücher