Im Funkloch
anderen lümmelten noch auf den Bänken.
»Lucas!«, rief Passlewski. »Los jetzt!«
Wie von der Tarantel gestochen sprang Lucas auf und rannte los. In einem Affenzahn raste er an der ganzen Kolonne vorbei und hielt direkt auf Passlewski zu. Aber im letzten Moment wich er aus. Ohne langsamer zu werden, schaute er über die Schulter. »Wer als Erster oben ist!«, brüllte er und grinste wie ein Irrer.
Dann rannte er den Weg entlang. Dennis, Marcel und Jan beeilten sich hinterherzukommen.
»Verlauft euch nicht!«, rief Passlewski ihnen nach.
Der Weg wurde schon nach einem kurzen Stück steiler – und rutschig. Hier und da gab es wacklige Handläufe, aber wir mussten uns langsam vorantasten. Wer Turnschuhe trug – wie ich –, hatte besonders große Probleme. Um uns herum war eine Mischung aus Murren und abgehacktem Lachen, wenn jemand über einen Stein schlitterte.
Ich sah hoch – es wurde sogar noch steiler. Und oben wartete schon Lucas, stand breitbeinig da, schaute auf uns runter. Seine drei Kumpel quälten sich gerade zu ihm.
Als ich zwei weitere Schritte gemacht hatte, fieletwas auf den Boden neben mir und kullerte weiter den Hang abwärts. Ein Stein. Ich schaute hoch und sah gerade noch, wie Lucas ausholte und warf. Ein Stein flog in meine Richtung und ich duckte mich, bekam ihn an die Schulter. »HEY!«, entfuhr mir. Es war nur ein kleiner Stein gewesen, kaum größer als ein Kiesel, aber erschrocken hatte ich mich trotzdem.
Jetzt allerdings hielt Lucas einen Stein in der Hand, der fast faustgroß war. Mir wurde flau im Magen. Wenn er den warf . . .
Sollte ich Passlewski oder Frau Herzig rufen? Beide gingen weiter vorne, ich war mitten in der Menge – alle würden mitbekommen, welchen Schiss ich hatte. Besser, ich wartete erst mal ab. Unauffällig schaute ich mich um. Kevin war ein ganzes Stück hinter mir, ins Gespräch mit Noel vertieft – Nerds unter sich, dachte ich.
»Ein schönes Arschloch habt ihr da in eurer Klasse«, hörte ich eine Mädchenstimme neben mir.
Bevor ich etwas erwidern konnte, tanzte mein Magen Polka – es war Tina. »Ja . . .«, murmelte ich nur.
»Ist der immer so?«
Ich hätte fast wieder Ja gesagt und suchte nach einer besseren Antwort. Gleichzeitig wollte ich Lucas nicht aus den Augen lassen, der immer noch da oben stand und den Stein beiläufig hochwarfund auffing. Sollte ich versuchen, Tina loszuwerden, damit sie nicht am Ende was abbekam?
»Soll er doch schmeißen«, meinte sie, als könnte sie Gedanken lesen. »Kann mir nicht vorstellen, dass er dann noch hierbleibt. Wären wir ihn los.«
»Nicht nur ihn – einer von uns landet auch im Krankenhaus.«
»Wäre es doch wert, oder?«
Sie grinste mich an und ich konnte nicht anders, als zurückzugrinsen. Schweigend gingen wir weiter. Und erst jetzt fiel mir auf, wie locker ich mich gerade mit Tina unterhielt. Mit Tina .
Dann holte Lucas aus.
Und ich machte mich bereit auszuweichen.
Doch er schleuderte den Stein weit über unsere Köpfe, sodass er hinter uns in der Wildnis gegen einen Baumstamm prallte und zu Boden krachte. Als ich wieder hochsah, war Lucas schon weg.
»Zu schade«, meinte Tina trocken und hielt mir die Hand hin, damit ich ihr über eine glitschige Baumwurzel helfen konnte. Vorsichtig griff ich nach ihrer Hand und sie packte beherzt zu, zog sich an mir hoch, dass ich meinerseits fast ausgerutscht wäre.
»Hattest du nicht ein bisschen was mit dem zu tun?«, fragte Tina.
»Na ja . . . hatte ich. Jetzt aber nicht mehr. Lange Geschichte.«
»Hast deinen Umgang jedenfalls verbessert«, sagte sie.
Schließlich hatten wir den steilen Abschnitt hinter uns und alle kamen wieder zu Atem. Neben dem Weg befand sich ein Hügel, der vollständig mit grauen, zackigen Steinen bedeckt war, über denen dichter Nebel hing.
»Sieht aus wie Morrrdorrr!«, rief Kevin hinter uns und rollte das »r« so stark, dass alle lachen mussten.
»Ein Wanderweg, sie zu knechten!«, rief ich zurück und Tina lachte mit. Vielleicht wurde die Fahrt doch besser, als ich befürchtet hatte. Mein Magen kribbelte, weil Tina neben mir blieb, obwohl wir nicht mehr viel miteinander sprachen.
Ach Quatsch, ich steigerte mich da viel zu sehr rein. Tina lief ein Stück neben mir. Das war alles. Es musste nicht heißen, dass meine Hoffnungen berechtigt waren. Sie konnte sich jeden Augenblick umdrehen und wieder zu ihren Freundinnen gehen, und vielleicht interessierte sie sich kein Stück für mich.
Wir hatten bislang nur Hallo oder
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