Im Funkloch
Wie geht's auf dem Schulhof gesagt. Mehr nicht. Wir gingen in verschiedene Klassen und zwischen uns gab es kaum Berührungspunkte.
Nur weil ich mir schon im Kopf die tollste Romanze ausgemalt hatte, musste die nicht wahr werden.Wir waren uns einig, dass Lucas ein Arsch war. Toll, aber damit waren wir nun wirklich nicht alleine . . .
Es ging noch einmal steil bergauf, was neues Stöhnen hervorrief, aber dann wurde der Weg wieder flacher – und wir mussten uns durch Matsch quälen.
Lucas saß auf einem Stein am Wegrand, hatte den Kopf gesenkt. Dass der Stein nass war, schien ihm nichts auszumachen. Als er Tina und mich sah, sprang er auf und kam auf uns zu. »Was will denn die Gymmi-Schlampe von dir? Hat sie noch nicht gehört, was für ein Arschloch du bist? Dass man dir nicht vertrauen kann?«
Die Gespräche in unserer Nähe verstummten. Wie schon im Bus stand ich vor einer unmöglichen Wahl: Entweder ich hielt meine Klappe und ignorierte ihn, womit ich wie ein Feigling rüberkam – und das auch noch vor Tina – oder ich gab Kontra und riskierte, eins in die Fresse zu bekommen.
Ich entschied mich, ihn zu ignorieren.
Lucas rempelte mich an.
Zumindest schlang er mir seinen Arm wie eine Schraubzwinge um die Schulter. Ich roch seine Bierfahne. »Sammie, Sammie . . .«, sagte er tadelnd. »Willst du mir deine kleine Freundin nicht mal vorstellen?«
»Muss er nicht«, sagte Tina ungerührt.
Janka tauchte neben uns auf. »Verpiss dich einfach«, sagte sie zu Lucas.
»Ach, Schätzchen . . . bist du heute wieder kratzbürstig.«
Die beiden kannten sich? Das war mir neu – ich hätte nicht erwartet, dass überhaupt jemand von den Gymnasiasten auch nur in Lucas' Nähe ging . . .
»Aber was Sammie angeht . . . ich will euch einen Tipp geben. Der ist ganz schlechter Umgang. Völlig unzuverlässig, hält nichts, was er verspricht. Und er klaut!«
»Schnauze!«, entfuhr mir.
Lucas löste seine Umklammerung und rammte mir die Faust in die Seite. Ich rutschte weg und auf die Böschung zu.
Unter mir lag der Hügel mit den Steinen. Morrrdorrr , schoss mir durch den Kopf.
»Hey!«, protestierte jemand hinter mir, aber ich wusste nicht, ob es Tina oder Janka war. Für die Dauer eines Blinzelns war ich sicher, den Abhang runterzustürzen und auf die Steine zu knallen . . .
Aber ich bekam gerade noch den Ast einer Krüppelkiefer zu fassen. Erst mit der linken, dann mit der rechten Hand klammerte ich mich daran fest. Mit den Füßen strampelte ich ins Leere.
»Gib mir die Hand.«
Ich blinzelte, hob den Kopf. Tina stand über mir, hielt sich an einem Baum fest und mir die andere Hand hin.
Auf dem rutschigen Boden fand ich keinen Halt, aber Tina zog mich mit erstaunlicher Kraft zu sich, sodass ich wieder oben ankam. »Danke«, murmelte ich, wobei ich nach Lucas Ausschau hielt. Aber es war nichts von ihm zu sehen.
»Alles okay?«, fragte Tina.
»Nichts passiert«, sagte ich, und das war nicht gelogen. Aber mir zitterten die Knie und meine Jeans waren voller Schlammspuren. Immerhin hatte ich mich nicht verletzt.
Nur wenige hatten meinen Stunt überhaupt mitgekriegt und waren weitergegangen, als sie sahen, dass es mir gut ging.
Innerlich kochte ich. Dass Lucas mir wegen der Sache in Sachsenhausen noch was reinwürgen wollte – das hatte ich erwartet. Aber dass er gleich am ersten Tag der Klassenfahrt so weit ging, war sogar für seine Verhältnisse heftig. Wahrscheinlich hatte er noch mehr Alk intus, als ich mitbekommen hatte. Wenn ich nicht die nächsten Tage noch härtere Aktionen erleben wollte, musste ich gegenhalten . . . ich wusste nur noch nicht, wie.
»Was für ein Problem hat der Typ denn mit dir?«, fragte Tina.
»Wir hatten halt Ärger . . .«
»Den habt ihr immer noch.«
Ich grinste schief. »Sieht so aus . . .«, meinte ichund versuchte, die Schlammspuren von meiner Hose zu wischen, verteilte den Dreck dabei aber nur. »Und Janka? Woher kennt die Lucas?«
Jetzt grinste Tina. »Die haben auch Ärger«, sagte sie. »Aber vorher sind sie sich . . . etwas nähergekommen . . .«
»Was?«
»Aber nur eine Nacht«, meinte Tina leichthin, als sei das nichts Außergewöhnliches.
Es kam mir länger als 1,1 Kilometer vor, bis wir endlich den Aussichtspunkt erreichten. Hier war der Nebel nicht mehr ganz so dicht und wir konnten tatsächlich die Hügel und Täler weiter weg erkennen. Direkt unter uns glitzerte ein See. Passlewski baute sich wieder vor uns auf und begann einen Vortrag darüber, wie der See
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