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Im Funkloch

Im Funkloch

Titel: Im Funkloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falko Löffler
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Worte. »Ich wollte mich noch entschuldigen«, sagte ich stattdessen. »Eine Zeit lang hab ich wirklich geglaubt, du hättest Lucas mit dem Auto angefahren.«
    Er warf mir einen düsteren Blick zu. »Soll ich dir was sagen? Wenn er mir vor die Karre gelaufen wäre, hätte ich das auch gemacht . . .«
    Ich nickte ihm zu. Mir ging's ja auch nicht anders. Dann drehte ich mich um.
    Da war noch was anderes, das ich klären musste.
    Ich suchte Passlewski in der Halle, konnte ihn aber nicht finden. War der abgehauen?
    Tina kam zu mir. Sie hatte eine Decke um sich geschlungen, hielt auch eine Tasse Tee in der Hand. »Ist doch noch ein richtig gemütliches Lagerfeuer geworden, hm?«
    Ich musste grinsen. »Du spinnst«, sagte ich, zog sie an der Decke an mich heran, sodass sie fast ihren Tee verschüttete, und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
    »Er sitzt da hinten«, meinte sie und deutete ein Kopfnicken an. »Ich hab noch nicht mit ihm geredet und es auch sonst noch keinem gesagt, was wir . . .«
    »Ich glaub, das sollte ich alleine klären«, sagte ich und stellte die Teetasse auf den Tisch.
    Passlewski saß auf einem Plastik-Klappstuhl und starrte ins Leere. Ich zog mir einen Stuhl ran und setzte mich ihm gegenüber.
    Einige Augenblicke lang regte er sich nicht. Als er endlich aufsah, starrte er mir direkt in die Augen. Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich werde dich nicht um Verzeihung bitten, Samuel. Das kann man nicht vergeben. Wenn ich damit durchgekommen wäre . . . nicht auszudenken. Ich hätte dein ganzes Leben vernichtet.«
    Ich schwieg.
    »Nein, es ist unentschuldbar. Aber als Lucas michim Wald abfing und mir sagte, dass er das Halsband gefunden hätte . . . da hatte ich Hoffnung, dass wir Anni finden. Und dann sagte er . . . er sagte, es hätte ziemlich lange gedauert. Anni hätte sich erst an den Baum anbinden lassen, ohne sich zu wehren, sie war immer so zutraulich, aber er hätte immer wieder zuschlagen müssen. Immer wieder. Und wir waren da noch unten im Schwimmbad. Niemand hat sie hören können . . .« Er schloss die Augen. »Ich wollte Lucas nichts tun. Aber es war zu viel. Ich weiß gar nicht mehr, was ich eigentlich getan habe, auf einmal lag er da. Blutend. Reglos. Das Handy war aus seiner Tasche gefallen, lag neben seinem Kopf. Ich stand unter Schock . . . hab das Handy eingesteckt, ohne zu wissen, was ich damit sollte. Erst später fiel mir ein, dass ich es benutzen könnte, um . . .« Er schüttelte wieder den Kopf.
    »Aber ich verstehe das nicht . . . warum hat Lucas das überhaupt getan? Den Hund getötet?« Hätte er so was nur zum Spaß getan?
    Passlewski schaute mich an. »Lucas hat mich . . . nun . . .« Er atmete tief durch, schluckte. »Als es Ende letzten Jahres um seine Versetzung in die zehnte Klasse ging, hatte ich ihn in meiner Sprechstunde. Er hat mich . . . vom Stuhl gestoßen. Getreten. Hat mir gedroht, dass er mich umbringt, wenn ich ihn nicht versetze.« Sein Blick wurde wieder leer. »Ichhatte Angst. Also hab ich es getan. Hab den anderen Lehren zugeredet, ihm noch eine Chance zu geben. Dachte, dann ist alles vorbei.«
    Ich rutschte auf meinem Stuhl rum, fand keine bequeme Sitzposition. Das kam mir alles sehr bekannt vor . . .
    »Aber es ging weiter. Er fing mich nach der Schule ab, versetzte mir eine Ohrfeige. Manchmal verpasste er mir eine nach dem Unterricht, wenn alle gegangen waren. Damals, als du zum ersten Mal zu uns in die Schule gekommen bist . . . da auch.«
    Das Nasenbluten. Ich erinnerte mich . . .
    »Ich . . . ich bin kein gewalttätiger Mensch, wirklich nicht. Das musst du mir glauben. Er wollte seinen Realschulabschluss erzwingen . . .« Passlewski kratzte sich geistesabwesend blutigen Schorf von der Backe. »Als er bemerkt hat, dass ich sein Spiel nicht mehr mitmachen wollte, hat er angefangen, mich noch schlimmer zu erpressen. Er wollte dem Direktor sagen, ich hätte ihn . . . sexuell belästigt und dafür hätte er gute Noten bekommen. Ich habe es im Guten versucht. Aber nichts hat geholfen.«
    Auf seltsame Weise fühlte ich mich Passlewski in diesem Moment vertraut. Was er getan hatte, hätte auch mir passieren können . . .
    Passlewski hob den Kopf. »Du wirst mir das wahrscheinlich nicht glauben, aber . . . ich wollte allemein Ende setzen. Ich wollte nach der Klassenfahrt zum Direktor gehen und alles eingestehen. Lucas' Erpressung, die gefälschten Noten, alles. Und ich war bereit, die Folgen zu tragen. Es war ein Fehler gewesen, der Angst nachzugeben.

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