Im Gewand der Nacht
außer meinem Bruder Vedat.«
»Und was hat sich seit letztem Jahr verändert?«, fragte İkmen.
»Vedat hat sich verändert, Inspektor«, erwiderte Sivas. » Anfangs dachte ich, dieser Bulgare, Schiwkow, wollte meine Idee einfach nur kopieren. Ich wusste zwar nicht, wie er davon erfahren und Vedat dazu gebracht hatte, ihm die Kostüme der Mädchen zu geben und ihn unseren Kunden vorzustellen, aber Vedat war hier, und ich war in den Staaten. Ich habe meinen Bruder immer geliebt, deshalb war ich auf dem Auge blind. Aber dann erzählten mir plötzlich einige unserer Kunden, Schiwkow versuche sie zu erpressen.« Er seufzte. »Doch selbst da wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Bis eines Tages Vedat anrief, nachdem man ihn angeblich zusammengeschlagen hatte, und mir erzählte, Schiwkow habe von den Fotos gehört und wolle sie haben. Ich ließ ihm ausrichten, er solle sich zum Teufel scheren.«
»Wer wusste sonst noch Bescheid?«, fragte İkmen.
»Niemand. Natürlich hatten meine italienischen Freunde und ein paar, sagen wir, höher gestellte Persönlichkeiten inzwischen von den Erpressungsversuchen gehört und waren deshalb ziemlich nervös. Aber von den Fotos wussten sie nichts. Ich konnte es ihnen nicht sagen, sie hätten mich umgebracht. Als Vedat dann anrief und mir erzählte, ein Mädchen sei in einem unserer Kostüme ermordet worden …«
»Hatice İpek.«
»Ich weiß nicht, wie die Kleine hieß. Jedenfalls hatte Vedat mich belogen. Er war nie zusammengeschlagen worden, sondern genauso scharf auf die Fotos wie Schiwkow. Ich habe Bilder von Leuten, Inspektor, die so mächtig sind, dass selbst die obersten Bosse der Cosa Nostra – von denen sich einige übrigens gerade nebenan befinden – bei ihrem Anblick verstummen würden.«
»Das bedeutet also«, sagte İkmen langsam, »dass Schiwkow diese Bilder an sich bringen will, um die Mafia zu erpressen.«
»Nicht nur die Mafia. Auch die Wähler sehen nicht gerne Bilder von verzweifelten jungen Mädchen, die ihren Regierungschefs einen blasen. Sie neigen dazu, solche Leute abzuwählen. Sie mögen es nicht, wenn ihre Vorbilder sich einen runterholen, während ein Mafiaboss gerade eine kleine Prinzessin im Stehen fickt.«
»Sie haben Fotos, auf denen so etwas zu sehen ist?«
»Von so gut wie jedem Prominenten, der in den letzten vierzig Jahren mit der Cosa Nostra in Verbindung stand. Männer, die entweder selbst zur Organisation gehören oder denen die Mafia ihre Position verschafft hat. Sie wären erstaunt, wie viele Gesichter Sie erkennen würden – und nicht alle davon gehören Amerikanern.« Sivas lächelte. »Ich hätte ganze Regierungen mit meinem Material stürzen können. Nicht schlecht für einen dummen Türken, was?«
Ganz im Gegenteil, für einen armen Jungen aus Haydarpaşa, für den bereits die ägyptische Filmindustrie die große weite Welt bedeutet haben musste, war es sogar höchst bemerkenswert. Es hatte immer Gerüchte gegeben, dass bestimmte kriminelle Organisationen in einigen Ländern Politiker kontrollierten; es wurde auch gemunkelt, sie hätten Hollywood in der Hand, ebenso wie die Gewerkschaften und so weiter. Doch jetzt schien es plötzlich einen Beweis dafür zu geben, vorgelegt von einem Mann, der sich, fast schon naiv, einfach nur hatte absichern wollen.
»Und Ihre Frau?«, fragte İkmen. »Sie sagten, Sie hätten Ihr Haus verlassen, um ihren Tod zu rächen.«
Sivas’ Augen füllten sich mit Tränen. »Sie haben Kaycee umgebracht, um mir zu zeigen, dass es ihnen mit den Fotos ernst ist«, sagte er stockend. »Ich bin nach Istanbul gekommen, um alles wieder in Ordnung zu bringen; zum einen war da das tote Mädchen, zum anderen wollte ich natürlich die Sache mit Schiwkow und den Fotos regeln. Aber er kam mir zuvor; ich hatte ihn maßlos unterschätzt. Er entführte Kaycee, und ohne nachzudenken schaltete ich die Polizei ein. Dann brachte er Kaycee um. Er wollte mich nicht erpressen – er hatte von Anfang an die Absicht, sie umzubringen. Er dachte, es würde mir eine Lehre sein, nach dem Motto ›Wenn du nicht tust, was ich dir sage, bist du als Nächster dran‹. Dieser verdammte Scheißkerl hat keine Ahnung, wie sehr ich sie geliebt habe. Jetzt kriegt er die Fotos erst recht nicht. Außerdem sind die wirklich Großen, und damit meine ich nicht die Mafiabosse nebenan, inzwischen gewarnt. Ich habe noch ein paar Telefonate geführt, bevor Schiwkow mich schnappen konnte.«
»Warum treffen sich die Mafiabosse dann hier mit ihm?«,
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