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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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seinen Bewachern ins Gesicht sehen konnte, und fragte: »Also macht ihr uns nun kalt, oder was?«
    Zwei der Gestalten, die bisher in einer Ecke des Raums leise miteinander gesprochen hatten, wandten sich um.
    »Was ist nun?« Der dicke Mann, der Bassano hieß, zuckte die Achseln. »Brauch ich einen Priester, oder was?«
    »Aufstehen!«
    Bassano wurde brutal von seinem Stuhl gezerrt. Den anderen Amerikanern und Hikmet Sivas erging es nicht besser.
    »Keine weiteren Fragen!«, sagte einer der Vermummten, während sie die Männer mit ihren Waffen vor sich her schoben.
    Sivas warf einen Blick in den Raum, in dem İkmen sich noch immer hinter dem Vorhang versteckte, sagte aber nichts. Wenn sie tatsächlich sterben mussten – wovon er genauso überzeugt war wie Bassano –, warum sollten sie dann noch eine weitere unschuldige Seele mit in den Tod reißen? Verglichen mit İkmen waren sie Abschaum: Bassano, di Marco, di Marco junior, Martin, Kaufman und er selbst, Hikmet Sivas. İkmen war anders, İkmen war etwas, was er auch einmal gewesen war: ein ganz normaler Mann. Außerdem würden diese Gestalten, diese Profikiller, ihn wahrscheinlich sowieso irgendwann entdecken.
    Die sechs Männer wurden auf die nächtliche Terrasse getrieben; leise Tiergeräusche und das sanfte Rascheln abkühlender Pflanzen erfüllten die Luft. Auf dem Weg vor dem Pavillon stand ein dunkler Lieferwagen mit geöffneten Hecktüren; das Führerhaus war durch eine Wand vom übrigen Fahrzeug getrennt. Die Männer wurden auf die harten Sitzbänke im hinteren Teil verfrachtet. Während Hikmet in den Wagen kletterte, den Druck der Waffe im Rücken, versuchte er, nicht daran zu denken, was diese Männer – vermutlich waren es G.s Männer – mit ihm anstellen würden, um an die Fotos zu kommen.
    Als alle saßen, schlossen die vermummten Wächter die Tür und verriegelten sie. Dann nichts mehr – kein Geräusch, kein Licht, keine Empfindung, nur das Pochen ihrer Herzen.
     
    Niemand hatte mehr den Raum betreten, seit die schwarz gekleideten Männer Hikmet Sivas geholt hatten. Sie gehörten vermutlich einer Spezialeinheit an; zumindest sahen sie genauso aus, wie man sich solche Leute üblicherweise vorstellte. Aber natürlich konnten sie ebenso gut Kriminelle sein oder sogar Angehörige irgendwelcher ausländischen Streitkräfte. Schließlich hatten sie mit Sivas Englisch gesprochen; ob mit amerikanischem, britischem oder australischem Akzent wusste İkmen nicht zu sagen. Nicht, dass ihn solche Spekulationen in irgendeiner Weise weitergebracht hätten …
    Fest stand, dass sie schwer bewaffnet waren und im Zusammenhang mit diesem bunten Haufen von Ganoven irgendeinen Auftrag zu erfüllen hatten. Aber wenn Hikmet Sivas bezüglich seiner Fotosammlung die Wahrheit gesagt hatte, dann konnte jeder der Betroffenen beschlossen haben, das Problem auf diese Weise zu lösen. Selbst im 21. Jahrhundert, selbst in den liberalsten Teilen der Welt vermochten Fotos dieser Art, eine Regierung zu stürzen. Wo hatten eigentlich ihre Bodyguards gesteckt, als diese Staatsmänner kurz in ihrem türkischen »Club« vorbeischauten und dabei fotografiert wurden, wie sie sich von einer prachtvoll gekleideten kleinen Prinzessin mit traurigen Augen einen blasen ließen? Solche Leute lebten für gewöhnlich hinter Stahltüren und schliefen in Atombunkern! Oder hatten sie Hikmet etwa vertraut? Nein, wahrscheinlich hatten sie ihn eher als amüsanten »Eingeborenen« betrachtet. Vermutlich war ihnen nie der Gedanke gekommen, er könnte sein Wissen eines Tages gegen sie verwenden. So etwas schien einfach unvorstellbar.
    Soweit İkmen das beurteilen konnte, waren sämtliche Männer aus dem Nebenraum irgendwo anders hingebracht worden. Zwar drangen immer noch Geräusche von dort zu ihm, aber er nahm an, dass sie von den vermummten Soldaten, oder was sie auch sein mochten, verursacht wurden. Er fragte sich, wie lange sie noch bleiben würden und wie lange er wohl hin ter diesem Vorhang ausharren musste, in einem hell erleuchteten Raum und bei weit geöffneter Tür, ohne sich eine Zigarette anstecken zu können.
    Verdammt. Bis zu diesem Moment hatte er keinen Gedanken ans Rauchen verschwendet. Aber jetzt konnte er plötzlich an nichts anderes mehr denken. Vielleicht sollte er einfach eine Zigarette aus der Tasche nehmen und sie sich unangezündet zwischen die Lippen stecken …
     
    Der Raum, in den man Tepe und seine Mitgefangenen brachte, war wirklich beeindruckend. Die fensterlosen Wände

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