Im Gewand der Nacht
erpressen Schutzgeld oder manövrieren ihre Marionetten in Machtpositionen. Aber so ist es immer gewesen. Von Zeit zu Zeit beschließen sie auch, in der Öffentlichkeit stehende Menschen zu erpressen, aber das Ganze läuft nach gewissen Regeln ab, die alle Seiten genauestens kennen. Schiwkow hingegen kannte die Regeln nicht, handelte in großer Eile und war zudem außerordentlich gierig …«
»Wird meine Wohnung abgehört?«, unterbrach İkmen Ardiç.
»Die Angst vor Erpressung war natürlich ein wichtiger Faktor, aber man fürchtete auch, dass er sich möglicherweise dazu versteigen könnte, die Fotos an Regierungen zu verkaufen, die gewissermaßen nicht dazugehören, oder dass er sie dazu benutzen wollte, um an Waffen zu kommen, die ich mir lieber nicht so genau vorstellen möchte. Schiwkow war ein ehrgeiziger, skrupelloser Psychopath.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte İkmen. » Wird meine Wohnung …«
»Ich weiß es nicht!«, herrschte Ardiç ihn an. »Aber ich wollte kein Risiko eingehen! Wenn die wüssten, was Sie alles wissen, würden sie uns beide umbringen!«
»Und warum erzählen Sie es mir dann?«
»Weil ich Sie kenne! Weil ich weiß, dass Sie weitergraben würden, bis Ihnen irgendjemand das Gehirn wegpustet!« Er strich sich mit der Hand über die feuchte Stirn und schüttelte die Tropfen auf den Boden. »Die wussten, dass Sie sich möglicherweise auf dem Palastgelände aufhalten würden und kalkulierten Ihre Anwesenheit ein. Alles lief nach Plan.«
»Was? Sogar das mit Tepe? Sie haben Tepe …«
»Tepe sollte nicht sterben. Ich hatte darum gebeten, dass man ihn uns nach dem Einsatz übergibt«, sagte Ardiç und schüttelte bedauernd den Kopf. »Aber sie haben ihn erschossen.«
»Und General Pamuk?«
»Ich glaube, die Frage, in welcher Beziehung der General zu Schiwkow und Konsorten gestanden hat, lassen wir besser unerörtert. Sagen wir einfach, dass Schiwkow etwas von ihm wollte und dass es sich um eine Bitte handelte, die Pamuk ihm nicht abschlagen konnte. Aber unterdessen hatte G., ohne dass Schiwkow etwas davon wusste, ebenfalls Kontakt zu Pamuk hergestellt, über Kanäle auf unserer Seite. Der General hat den Männern, die den Pavillon letztlich stürmten, dann bereitwillig Einzelheiten über die Lage der Räume, die Zahl der bewaffneten Männer und so weiter geliefert.«
»Aber Sie sagten doch, dass auch einer der Ausländer wusste, was passieren würde?«
»Ja. Aber er war offensichtlich nicht in der gleichen Position wie Pamuk, der gehen konnte, nachdem er Schiwkow gegeben hatte, was auch immer dieser von ihm verlangt hatte. Alle Ausländer haben das Land vor wenigen Stunden unversehrt per Flugzeug verlassen.«
»Und diese Sache, die Schiwkow von General Pamuk wollte …«, setzte İkmen an.
»An Ihrer Stelle würde ich lieber nicht darüber nachdenken, İkmen«, unterbrach Ardiç ihn energisch.
Die beiden Männer verfielen in ein unbehagliches Schweigen.
İkmen betrachtete die feuchten antiken Säulen und dachte nicht zum ersten Mal über die lange Tradition der Geheimniskrämerei nach, die diese Stadt bis zum heutigen Tage prägte. Er wusste nicht, ob die Griechen, die für ihre byzantinischen Spione weithin berühmt gewesen waren, sie begründet hatten, doch seit jener Zeit florierte sie. Vielleicht hatten sich die Menschen dabei von ihren Bauwerken beeinflussen lassen, von labyrinthischen Palästen oder riesigen unterirdischen Zisternen, Orten, an denen Gangster – wie İkmen nicht umhin konnte zu denken – ebenso ihre Leichen verschwinden lassen konnten wie Generäle.
»Die Mürens haben die Leiche von Hatice in die Zisterne an der Türbedar Sokak gelegt, von deren Existenz sie durch die Nachbarin ihrer Großmutter wussten«, sagte İkmen, dem das tote Kind seiner Nachbarin keine Ruhe ließ. »Wer immer das getan hat, hat sich viel Mühe dabei gegeben. Ich würde gern mit Ekrem und Celal sprechen.«
»Dieses Mal werde ich Sie nicht aufhalten«, sagte Ardiç. » Beim letzten Mal waren Sie mir ein bisschen zu dicht dran. Zum dem Zeitpunkt konnten wir es uns nicht leisten, irgendwen aufzuschrecken. Aber die Mürens haben das Mädchen nicht angerührt. Es war Schiwkow – so viel wissen wir sicher.«
»Er hat auch Kaycee Sivas getötet«, sagte İkmen.
»Und zwar wahrscheinlich unmittelbar nach der Entführung«, ergänzte Ardiç. »Die arme Frau. Schiwkow hat seine Opfer gern enthauptet. Wenn wir nicht gekommen wären, hätte er Hikmet Sivas den Kopf
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