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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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entgegnete İkmen in scharfem Ton, »aber ich glaube, das werde ich bald nachholen.«
    »Aber das alles hat überhaupt nichts mit ihm zu tun, Papa!«
    İkmen zog heftig an seiner Zigarette. »Und womit hat es dann zu tun, Hülya?«
    Das Mädchen seufzte und gab sich schließlich geschlagen, wie so häufig bei Auseinandersetzungen mit ihrem Vater.
    »Hatice hatte für gestern Abend noch einen anderen Job angenommen. Es war die Chance, in die Unterhaltungsbranche einzusteigen. Und auch noch super bezahlt.«
    İkmen, der solche und ähnliche Geschichten schon unzählige Male von noch jüngeren und wesentlich naiveren Mädchen gehört hatte, stützte den Kopf in die Hände.
    »Lass mich raten«, sagte er müde. »Ein paar nette Männer wollten, dass sie für sie tanzt.«
    »Ja, und auch eine Rolle spielt«, erklärte Hülya unbedarft. »Woher weißt du das ? Kennst du …«
    »Ich glaube, du solltest jetzt sofort hierher kommen, Hülya«, sagte İkmen, drückte seine Zigarette aus und zündete sich umgehend die nächste an.
    »Was? Auf die Wache?« Hülya klang entsetzt.
    »Ja«, stieß ihr Vater zwischen den Zähnen hervor. »Denn hier arbeite ich. Ich bin Polizist. Und du hast Informationen über eine vermisste Person, die vielleicht in Gefahr schwebt. Also sieh zu, dass du deinen kleinen Hintern hierher bewegst. Und zwar sofort!«
    Vor Schreck über den plötzlichen Ausbruch seines Vorgesetzten druckte Tepe versehentlich die Liste auf seinem Bildschirm aus.
     
    Turgut Fahri zeichnete sich durch einen unstillbaren Wissensdurst aus, doch seine Begeisterung für körperliche Aktivitäten hielt sich sehr in Grenzen. Okay, seine Mutter war nicht mehr die Jüngste, aber warum musste immer er die ganzen Werkzeuge und Gerätschaften schleppen, wenn sie zu ihren Expeditionen in die Unterwelt aufbrachen? Schließlich war er der helle Kopf der Familie. Das erzählten seine Mutter und seine Schwester jedem, der es hören wollte, und auch sein Vater Adnan war dieser Meinung gewesen, als er noch lebte. Immerhin hatte Turgut Adnan überhaupt erst auf die Idee mit den Zisternen gebracht, auch wenn seine Mutter gerne behauptete, mit ihren Ausflügen versuche sie, den Lebenstraum ihres Mannes zu erfüllen.
    Die Zisternen, die die Fundamente der Altstadt unterhöhlten, waren von den byzantinischen Kaisern gebaut worden.
    Diese riesigen unterirdischen Wasserspeicher wurden über Aquädukte mit Wasser aus dem Belgrader Wald gespeist und hatten dafür gesorgt, dass Konstantinopel auch bei einer Belagerung oder während einer Dürreperiode nie Durst leiden musste. Das für die damalige Zeit hervorragende Bewässerungssystem war jedoch in Vergessenheit geraten; es verfiel während der osmanischen Zeit und wurde erst im 16. Jahrhundert von einem französischen Reisenden »wieder entdeckt«, den die Geschichten der Einwohner vom Fischfang in unterirdischen Gewässern faszinierten. Doch erst im 20. Jahrhundert begann man damit, die Trinkwasserspeicher intensiv zu erforschen. Und selbst dann beschränkte man sich hauptsächlich auf eine einzige Zisterne, die Yerebatan Sarayı, in der seit den achtziger Jahren sogar Light-Shows und Musikdarbietungen für Touristen stattfanden. Aus diesem Grund eilten Turgut und Neşe Fahri mit ihren Werkzeugen und Gerätschaften auch nicht zur Yerebatan Sarayı. Nein, wenn Turguts Theorie stimmte und sich in den Zisternen tatsächlich griechische Schätze von unermesslichem Wert befanden, dann verbargen sie sich sicherlich nicht in dem Wasserspeicher, der vergleichsweise gut erforscht war. Der Schatz musste in einer der anderen Zisternen sein, die noch unberührt unter Basaren und Cafés, Häusern und Wohnblöcken lagen und langsam verrotteten. Mit anderen Worten: in einer Zisterne wie derjenigen, in die Turgut gerade einstieg.
    Mittels einer Kombination aus Amateur-Detektivarbeit und Bestechung hatten Turgut und Neşe diese Zisterne ein paar Monate zuvor für sich entdeckt. Schon eine ganze Weile ging das Gerücht, es gebe ein kleines Wasserreservoir etwas nördlich der großen Binbirdirek-Zisterne, in der bereits Ausgrabungen stattfanden. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die unerschrockenen Schatzgräber Fahri das Reservoir ausfindig gemacht hatten. Der Eingang zur Zisterne, ein einfaches Loch im Boden, das bis vor kurzem mit einem Holzdeckel verschlossen gewesen war, lag im Garten eines alten Hauses an der Türbedar Sokak. Es kostete die Schatzgräber fast die Hälfte von Turguts Wochenlohn, damit

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